Mündige Bürger oder betreuungsnotwendige Verbraucher?
Mündige Bürger oder betreuungsnotwendige Verbraucher?

Mündige Bürger oder betreuungsnotwendige Verbraucher?

Mündige Bürger oder betreuungsnotwendige Verbraucher?

Johann Braun, langjähriger Inhaber des Lehrstuhls für Zivilprozessrecht, Bürgerliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Passau, hat in seiner lesenswerten kleinen Schrift „Bürger und Verbraucher“ den damit verbundenen Wandel des Menschenbildes – und letztlich des Menschen selbst – im Bereich des Politischen aufgezeigt: Der freie, selbstständige Bürger ist durch den unselbständigen, täuschungs- und irrtumsanfälligen Verbraucher als Teil einer Massengesellschaft ersetzt worden. Dieses Bild ist aus den Köpfen all jener nicht heraus zu bekommen, die sich der Verwirklichung der so genannten „sozialen Gerechtigkeit“ verschrieben haben.

Johann Braun zeigt in der Tradition von Friedrich August von Hayek zunächst den Unterschied zwischen Recht und Gesetz auf. Gesetze bilden lediglich die Oberfläche des Rechts ab. Das Recht wird durch das Verhalten von Menschen geprägt, es ist abhängig von einer Schicht, die es trägt. Bis 1900 war diese Schicht das Bürgertum, der Gesetzeshöhepunkt das Bürgerliche Gesetzbuch. Die bürgerliche Ordnung entstand in Deutschland im europäischen Vergleich erst mit Verspätung. Zudem spielten Bürger nur im zweiten Glied eine Rolle, aber sie gestalteten Maßgeblich die Rechtsordnung – bis 1900 und nach 1949 erneut. Allerdings markiert das Jahr 1900 nicht nur den Höhepunkt, sondern auch die Epochenwende des bürgerlichen Zeitalters.

Die Masse bildete im 19. Jahrhundert den Widerpart zu Bürgertum. Es zählt zur Ironie der Geschichte, dass das Bürgertum durch die Revolution des Kapitalismus die Masse selbst hervorgebracht hat, die nun an seine Stelle tritt. Die Masse besteht aus einem Heer unselbständiger Arbeitnehmer. Trotz der ungleich vielfältigeren Lebensmöglichkeiten und des deutlich höheren Lebensstandards fehlt Johann Braun zufolge dem Arbeitnehmer alles, was einen Bürger im ursprünglichen Sinn ausmacht: „das Bewusstsein der Selbstverantwortlichkeit, wie es nur ein Selbstständiger entwickeln kann, das Streben nach Unabhängigkeit, das Verlangen nach Bildung anstatt bloßer Ausbildung, die Überzeugung, dass Wissen, wenn man damit umzugehen weiß, Macht bedeutet.“ Demgegenüber wolle der Unselbständige vor allem versorgt sein; „er will keine Chancen, wenn sie mit zusätzlichen Risiken verknüpft sind, er will nicht Freiheit, um etwas tun zu können, sondern Freizeit, um sich von dem Getanen zu erholen.“

Dem trägt das Verbraucherrecht Rechnung. Der Schutz vor Freiheit ist das zentrale Leitmotiv. Selbst der Kernbereich des bürgerlichen Rechts werde zum Verbraucher-, also Schutzrecht zu Gunsten des Verbrauchers vor den Gefahren freier Märkte umgestaltet. Dies geht mit einer schwerwiegenden Veränderung des Rechtsbewusstseins einher, ohne dass diese etwa in der Rechtswissenschaft thematisiert werde. Zugleich tut sich für Braun ein großer Widerspruch auf: Dies betrifft nicht nur die ungleiche Sicht auf das Individuum ohne Verantwortung und den davon ausgenommenen Unternehmer. Vielmehr traut oder mutet man dem Individuum weit reichende politische Urteilsfähigkeit und Aufgaben zu. Im öffentlichen Recht gibt es den Bürger noch, der als Stütze des politischen Systems über die Zusammensetzung des Parlaments national und übernational entscheidet, der Volksbegehren initiiert und für den Frieden in der Welt einsetzt. Allein die Frage lautet: Wie lange noch?

Bereits die neoliberalen Gründerväter der Bundesrepublik Deutschland, Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow sowie Ludwig Erhard, haben vor dem totalitären Wohlfahrtsstaat gewarnt.

Literatur

Johann Braun: Bürger und Verbraucher. Über den Wandel des Menschenbildes im Bereich des Politischen, Schriftenreihe der Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung Heft 5, München 2005, 18 S.