Priming von Zukunftsperspektiven
Werden Schüler an deutschen Schulen mit reduzierten Perspektiven auf die Zukunft geimpft? Das scheint für die BRD und DDR gegolten zu haben und gilt noch heute. Interessanterweise geschieht das in Geschichtslehrbüchern.
Die Basisnarrative, die in der Schule eingeübt werden, hat Sabrina Schmitz-Zerres in ihrer Dissertation „Die Zukunft erzählen. Inhalte und Entstehungsprozesse von Zukunftsnarrationen in Geschichtsbüchern von 1950 bis 1995“ untersucht – und zwar sowohl deren inhaltlich-thematische Ausgestaltung als auch den Zulassungsprozess bis zur Veröffentlichung.
Die „zeitgenössischen Zukunftsbeschreibungen” im Geschichtslehrbuch „wirken auf das kollektive Gedächtnis einer Gesellschaft ein, was durch ihre Verwendung in der schulischen Geschichtsvermittlung auch intendiert ist. Es handelt sich bei diesen Narrativen um Deutungen, die die Offenheit von Zukunft reduzieren und ein Geschichtsbild von Kontinuität vermitteln.“ wie der Besprechung durch Wolfgang Jacobmeyer in sehepunkte zu entnehmen ist.
Folgende Themen wurden aus den Geschichtsbüchern herausgearbeitet und in ihnen narrativ oder appellativ behandelt:
- “Atomkraft” (globale Kriegswaffe, Zukunftstechnologie, Ambivalenz von Bedrohung und Nutzen),
- “Kalter Krieg” (Bedrohung, Deutsche Frage),
- “Dekolonisierung” (Länderperspektiven, finanzierte Friedenssicherung, Rekurs auf den Kalten Krieg),
- “Europa” (Friedenswahrung, Schutz europäischer Kultur, von wirtschaftlicher Union zur politischen Juxtaposition zu den Großmächten, ‘antemurale’ gegen die Sowjetunion, deutsche Vereinigung),
- “Kriegsfolgen für Deutschland” (“tapfere Deutsche”, Zielperspektive Wiedervereinigung, Zukunft als Aufgabe),
- “Wiedervereinigung” (deutsche Gemeinsamkeiten, Abhängigkeiten von USA und Sowjetunion, europäische Aufgabe),
- “Nahostkonflikt” (Deutungsleere, drohende Eskalation, Stellvertreterkrieg, Rohöl),
- “Umwelt”
- “Zukunft als Aufgabe” (Gestaltung, Weltfriede, Fortschritt).
Problematisch erscheint nicht nur die Reduktion von Offenheit, sondern auch die Feststellung: „die Zukunftsnarrative verweben als Praxis jüngste Vergangenheit und Gegenwart zu einem Zukunftsbereich (172-173). Sie sprechen die SchülerInnen direkt an und betrauen sie mit der Lösung der erzählten Probleme, ausgenommen solche Probleme, die nur staatspolitisch lösbar sind“.
Warum? Bei der Betrachtung von Zukunft geht es methdisch und inhaltlich darum gerade nicht Narrative fortzuspinnen. Vielmehr erfordert der Blick in die Zukunft eine Reflexion über Narrative und über eigene Voreingenommenheit. Das Erwerben der Fähigkeit, Entwicklungen offen zu betrachten und sich erst ganz zum Schluss ein Urteil zu bilden, wird zu einer Schlüsselkompetenz. Das gilt sowohl für solide Analysen und Prognosen als auch für unternehmerisches Handeln. Schließlich ist jede Politik eine zumeist unreflektierte Prognose.
Die Alternative sind normative Standpunkte und eben politische Haltungen. Apropos, was angeblich nur staatspolitisch zu lösen ist, dürfte überwiegend dem Standpunkt der Staatspolitiker geschuldet sein.