Der Crack-up-Boom fällt aus
Der Crack-up-Boom fällt aus

Der Crack-up-Boom fällt aus

Die 1920er Jahre lassen sich nicht eins zu eins auf heute übertragen

Vor wenigen Jahren warteten Anleger und Anhänger der Österreichischen Schule der Ökonomik geradezu sehnsüchtig auf den sogenannten Crack-up-Boom. Noch heute warnen Vermögensberater und Ökonomen vor der Katastrophenhausse und einem Zusammenbruch des Währungs- und Finanzsystems. Beides wird auf absehbare Zeit ausbleiben. Das hat mit Theorie und Praxis zu tun – mit undifferenzierter Übertragung der Österreichischen Konjunkturtheorie und relativ guter wirtschaftlicher Lage.
 
Österreichische Konjunkturtheorie damals und heute
Als Musterbeispiel für eine Katastrophenhausse gilt die Hyperinflation 1923 in Deutschland. Die Aktienkurse schnellten in die Höhe, nominal und real. Anleger flohen aus der Währung, in die sie kein Vertrauen mehr hatten, und aus Staatsanleihen, die sie für absehbar wertlos hielten. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Aussichten für die Unternehmen waren indes schlecht. Rasch geriet die Inflation außer Kontrolle. Die Währung verfiel. Eine Währungsreform folgte. Die „Animal spirits“ hatten reale Ursachen und zeichneten sich durch einen tief greifenden Vertrauensverlust aus.
Im vergleichsweise milderen Boom-und-Bust-Szenario folgt der künstlichen, rein monetär angefachten Hausse die Bereinigungskrise. Sie kann durch politische Fehler in eine Depression umschlagen. Das war bei der Weltwirtschaftskrise der Fall, der amerikanischen Großen Depression der 1930er Jahre. Ein weiteres Beispiel ist die 2007 ausgebrochene internationale Finanzkrise, die in die amerikanische Große Stagnation überging. Österreicher haben die beiden Jahrhundertkrisen prognostiziert und plausibel erklärt. Gleichwohl besteht Fortentwicklungsbedarf. Eine gute Grundlage bietet die integrative Analyse des amerikanischen Finanzwissenschaftlers Roger Koppl: From Crisis to Confidence. Vergleichbare innovative Beiträge mit Blick auf die Eigenheiten des Eurosystems stehen noch aus.
 
Währungsumbrücher der 1920er waren Systemkrise
Die seit geraumer Zeit zu beobachtende Rallye an den Aktienmärkten, die Diskussion um Vermögenspreisblasen bei gleichzeitig unattraktiven Anleihemärkten und (realen) Negativzinsen nähren Spekulationen über einen nahenden Zusammenbruch. Der Alarmismus ist unangebracht. Die Österreichische Konjunkturtheorie lässt sich nicht ohne weiteres aus ihrem historischen Entstehungszusammenhang reißen und auf die heutige Welt übertragen. Die Politik des billigen Geldes und die Manipulation des Zinses reichen nicht aus, um die Welt an den ökonomischen Abgrund zu führen. Die maßgeblichen Währungszusammenbrüche des 20. Jahrhunderts waren überwiegend Kriegsfolgen geschuldet; Hyperinflationen ging eine politikökonomische Strategie voraus – in Deutschland die Entwertung der Kriegsschulden des Ersten und die Finanzierung des Zweiten Weltkriegs.
Nach dem Ersten Weltkrieg kennzeichneten drei Determinanten die Weltwirtschaft: ein defekter internationaler Goldstandard mit Hyperinflation in Deutschland, eine global zerrissene Arbeitsteilung bei rasant zunehmendem Protektionismus während der Weltwirtschaftskrise, schließlich ein Krisen verschärfender Interventionismus zunehmend autoritärer Staatsführungen. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft befanden sich in einer Systemkrise.
 
Die Voraussetzungen haben sich geändert
Heute leben wir auf einem unvergleichlich höheren Wohlstandsniveau mit entsprechenden Puffern oder Knautschzonen. Die globale Arbeitsteilung ist weitaus intensiver und funktioniert. Der US-Dollar fungiert als Weltleitwährung. Dollar, Euro, Renminbi, Yen und Britisches Pfund sind zwar alle vom Kaufkraftverfall gekennzeichnet. Indes zeichnet sich keine (Hyper)Inflation ab. Die Politik der Zentralbanken hat zweifellos erhebliche negative Nebenwirkungen und hat nicht zur Gesundung beigetragen. Das gilt auch für die verfehlten Konjunktur-, Stützungs- und Interventionsmaßnahmen der Staatsführungen. Eine Folge ist die derzeit viel beklagte Investitionsschwäche, die in einem fehlenden Marktpreis für die intertemporale Kapitalallokation wurzelt. Mit anderen Worten: Die Investoren sind verunsichert und warten ab, unabhängig davon, wie billig Kredite angeboten werden. Und das Zentralbankgeld stapelt sich in den Banktresoren. Indes handelt es sich um Nebenwirkungen, nicht um akute Krisenakzeleratoren.
Das liegt auch daran, dass die Krisenmechanik des Eurosystems weithin bekannt ist. Die Milliarden schweren Subventionen für Staatsführungen und Unternehmen sind zwar unappetitlich, die Staatsverschuldungen liegen schwer im Magen, aber sie bleiben verdaubar. In Deutschland sprudeln die Steuereinnahmen. Reformen der Vergangenheit haben weltweit gezeigt, von Neuseeland über die Skandinavischen Staaten bis Kanada, dass in überschaubarer Zeit eine Verringerung der Staatsausgaben oder lediglich deren Stagnation für tragfähige Schuldenlasten sorgt.
 
Relativ gute Lage bei lediglich einer Subsystemkrise
Zugleich erhöhen Banken ihre Eigenkapitalquoten. Von Branche zu Branche und Unternehmen zu Unternehmen variierend laufen Restrukturierungen, Wachstums- und Innovationsprojekte erfolgreich. Es mehren sich Stimmen, die mit guten Gründen namhafte Unternehmen für unterbewertet halten. Einige Vermögenspreise sind wieder gesunken, bei den Rohstoffen Öl aufgrund eines Angebotsüberschusses, nicht zuletzt durch Fracking bedingt. Um es abzukürzen: Es geht nicht darum, volkswirtschaftliche Probleme klein zu reden, aber im Vergleich zu epochalen Krisen und mit Blick auf die Substanz der wesentlichen Volkswirtschaften in Europa und der Welt ist die Lage relativ gut. China hat ein Wachstumsproblem, aber auf welchem Niveau? Frankreich ist ein kranker Mann Europas, aber droht die wirtschaftliche Kernschmelze?
Heute erleben wir eine Subsystemkrise. Das Finanzsystem ist aufgeblasen und marode. Immerhin haben die Zentralbanken die Krise nicht zugespitzt. Eine Währungsverfassung ist notwendig. Der Währungswettbewerb bleibt das Ziel. Indes wird es keine sekundäre Depression geben. Die Finanzkrise ist (weitgehend) überwunden, die Staatsschuldenkrise nicht unüberwindbar. Warum sollen die Menschen den Euro nicht mehr als Zahlungsmittel akzeptieren? Eine Alternative fehlt genauso wie eine Fluchtbewegung in Gold, dessen Preis sich seit geraumer Zeit seitwärts bewegt. Der Interventions- und Regulierungsschleim verklebt zwar vieles, aber er erstickt die wirtschaftlichen Aktivitäten nicht. Daran haben Politiker und Bürokraten kein Interesse. Sie brauchen wirtschaftliches Wachstum. Wir leben in einer einzigartigen Wohlstandszeit und klagen mit großer Berechtigung auf hohem Niveau, das noch höher sein könnte.
 
Fazit
Die Österreicher können monetär bedingte Konjunkturkrisen treffend adressieren. Es mangelt aber über Mustervorhersagen hinaus an detaillierten, integrierten Krisenerklärungen. Um es anzudeuten: Vermögenspreisinflation ist nicht identisch mit Fehlinvestition in Produktionsverlängerungen, die nicht dauerhaft finanzierbar sind, und unterscheidet sich von Rationalisierungsinvestitionen. Eine Inflationskrise ohne allgemeine Teuerung bleibt erklärungsbedürftig. Gefährlich ist die Symbiose überschuldeter Finanzinstitute und überschuldeter Staaten ermöglicht durch Scheinliquidität. Die komplexe Neukalibrierung von Volkswirtschaften, begleitet vom Staatsinterventionismus, der dieses Mal auch anders ist, entzieht sich einem Ökonomismus.
Korrekturen werden kommen, auch an den Börsen. Austrian Investing bleibt richtig, zumal als Portfoliostrategie für ein nachhaltig angelegtes Vermögen.
Michael von Prolllius
Quelle: Der Artikel ist erschienen im Smart Investor 5/2015, 23-25 (SI_150501_No-Crack-up-Boom).