Die res publica ist ein wesentlicher Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft. Sie existiert und muss nicht konstruiert werden. Sie ist Ausdruck eines Bedürfnisses, eines Strebens vereinzelter Menschen zu einer Gemeinschaft. Es gibt zu ihr keine Individual-Alternative und damit keine privatrechtliche. Mit Cicero gilt: „Der Staat ist also die Sache des Volkes; das Volk aber ist nicht jede Vereinigung von Menschen, welche auf irgendeine Weise geschlossen wurde, sondern es ist diejenige Vereinigung einer Menschenmenge, welche basierend auf ihrer Übereinstimmung in den Rechtsvorstellungen und auf ihrer Gemeinsamkeit des Vereinigungsnutzens zusammengeschlossen wurde.“ Die res publica ist zugleich eine große Herausforderung, weil in dieser Sphäre die Regeln und Mechanismen der Politik gelten, die zum Missbrauch einladen. Das macht die Einhaltung und Durchsetzung des Rechts der Freiheit so bedeutsam.
In der res publica sind alle rechtlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Vorgänge zu verorten. Das schließt Krieg und Frieden, innere Sicherheit und die Fortentwicklung des Rechts, aber auch die Diskussion über bestimmte Projekte ein, etwa den Bau eines Flughafens oder Bahnhofs. Dort ist auch der Raum für die sogenannte öffentliche Meinung. Die gemeinsamen Vorgänge können nur gemeinsam gelöst werden, was zu einem politischen Verfahren, zur Politik führt.
Res publica meint also die öffentliche Sphäre, den Bereich des gesellschaftlichen Lebens, in dem Menschen zusammenkommen, weil sie gemeinsame Probleme erörtern und lösen wollen. Sie versprechen sich davon eine Verbesserung ihres Lebens. Ursprünglich kamen die Menschen tatsächlich zusammen, sie trafen sich und diskutierten, gerne in Kaffeehäusern. Längst ist diese öffentliche Sphäre virtueller geworden. Unverändert geht es um mehr als nur private Angelegenheiten, nämlich um die Bündelung von Einzelinteressen und auch Individuen zu etwas Gemeinsamem, eben einer menschlichen Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft ist einerseits im Streben der meisten Menschen angelegt und andererseits die Vorstufe zu einer Staatsbildung, die eine Institutionalisierung der öffentliche Sache darstellt.
Die Herausforderung liegt auf der Hand: Die Beschränkung der öffentlichen Angelegenheit auf die gemeinsamen Probleme. Eine große Gefahr besteht darin, dass Einzelne und Sonderinteressengruppen ihre Ziele zu öffentlichen Angelegenheiten umdeklarieren. Dazu zählen Preise, die zu hoch oder zu niedrig sein sollen, eine Religion, die unter besonderen Schutz gestellt werden oder Privilegien erhalten soll, Wohlstand, der aufgrund moralischer Urteile umverteilt werden soll, und auch Privilegien, die als Rechte getarnt werden und sei es geschlechterspezifisch als Frauen- oder Männerquote.
Gleichwohl gibt es Themen, die berechtigterweise die Gemeinschaft betreffen und von ihr angegangen werden; nicht jeder Einzelne ist jederzeit betroffen, aber viele sind es immer wieder. Recht und Gerechtigkeit, Sicherheit, Gesundheit, saubere Umwelt, eine funktionsfähige Infrastruktur, Bildung und dergleichen mehr. Aus dem gemeinsamen Interesse, der gemeinsamen Betroffenheit im Wortsinn, etwa nicht von Epidemien heimgesucht zu werden und eine gute Gesundheitsversorgung nutzen zu können, folgt indes nicht, dass die zu bewältigende Aufgabe auch gemeinschaftlich oder öffentlich, also staatlich, gelöst wird. Keineswegs! Stets hat die private Lösung Vorrang, sie ist der öffentlichen fast ausnahmslos überlegen. Ausnahmen gibt es indes. Dazu gehört beispielsweise die staatlich produzierte Sicherheit als Monopol, aber auch eine Impfpflicht, um Epidemien zu vermeiden.
Offenkundig ist die Begrenzung der öffentlichen Zuständigkeit eine zeitlose Aufgabe, die von Generation zu Generation immer wieder angegangen werden muss. Der klassische Liberalismus bietet dafür eine Reihe von Regeln, Verfahren und Institutionen, die mehr oder minder gut geeignet sind, der dem Staat immanenten Ausweitung einen Riegel vorzuschieben. Wirksame Gewaltenteilung, ein friedlicher Regierungswechsel und Verfassungen für die Politik, aber etwa auch die Währung gehören dazu. Wettbewerb, auch in rechtlicher Hinsicht, ist ein Erfolgsschlüssel.
Der Erfolg der Begrenzung staatlicher Macht hängt nicht zuletzt von der Geisteshaltung der Bürger ab. Sind sie wach, mündig, unabhängig, so werden sie die Aufgaben und das Machtpotenzial des Staates klein halten und sich gegen seine Ausdehnung wehren. Schließlich dient diese Expansion regelmäßig dem Wohl derjenigen, die ihn für ihre Zwecke nutzen. Sind die Bürger schläfrig, unmündig, abhängig, dann scheint alle Wohlfahrt durch den Staat zu entstehen. Die Ideen sind es, die dem Handeln in letzter Ursache zugrunde liegen.
Der klassische Liberalismus ist von der Idee durchdrungen, dass die res publica ein Ort konstruktiven, argumentativen Wettstreits ist und nur dann öffentliche Vertreter mit Aufgaben betraut werden, wenn die private Lösung der gemeinschaftlichen unterlegen ist. Das ist sehr selten der Fall und bedarf stets einer prinzipientreuen Klärung und Begründung.