Eine gute Welt von gestern für eine bessere Welt von morgen
Michael von Prollius
Österreicher haben viel zu bieten: nicht nur geschmackvolle Einspänner, Sachertorte und Kaffeehauskultur, sondern hochkarätige Ökonomen und Sozialphilosophen. Der „Wert der bessere Ideen“ offenbart sich in den Werken von Schriftstellern wie Stefan Zweig („Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers“) und mit Humor bei Friedrich Torberg („Die Tante Jolesch“). Ganz besonders gilt das für die gleichnamige großartige Vorlesungsreihe eines der tiefschürfendsten Denker: Ludwig von Mises „Vom Wert der besseren Ideen“ – im englischen Original: „Thoughts for Today and Tomorrow“.
Kleine Entstehungsgeschichte
Die reichhaltige Tradition der Österreicher erstreckt sich über die spanischen Scholastiker (Schule von Salamanca im 16. Jhdt.) zurück in die Vergangenheit und nimmt ihren modernen Anfang mit Carl Menger. Sein 1871 erschienenes fortschrittliches Buch „Grundsätze der Volkswirthschaftslehre“ betrachtete die Wirtschaft vom Menschen aus und legte die Grundlage für viele wesentliche Ideen der von ihm begründeten Schule. Im Methodenstreit trat Menger der vorherrschenden, empiristischen und etatistischen Historischen Schule entgegen. Eugen von Böhm-Bawerk steht mit seiner Kapital- und Zinstheorie sowie seiner Widerlegung der marxistischen Arbeitswerttheorie für die 2. Generation. Die konsistente Soziallehre der Freiheit macht Ludwig von Mises zum überragenden Österreicher und Liberalen; er steht für die 3. Generation. Mises bewies die Unfähigkeit des Sozialismus, rationale Entscheidungen zu treffen („Die Gemeinwirtschaft“), machte durch seine Schriften aus Jungsozialisten führende Neoliberale, darunter Wilhelm Röpke, erweiterte und vertiefte die Geld- und Kredittheorie, formulierte die Österreichische Konjunkturtheorie, schrieb das Standardwerk Österreichischer Ökonomik „Nationalökonomie“, 1949 erweitert zu „Human Action“, und begründete in Abgrenzung zur Geschichtswissenschaft die Praxeologie umfassend in „Theorie und Geschichte“. Kurz nach seinem Tod erhielt sein Schüler Friedrich August von Hayek gleichsam für ihn den Nobelpreis. Stets sollten Hayeks Werke sollte durch Mises’ Perspektive und Mises’ Arbeiten in der Perspektive Hayeks gelesen werden. Weil nach 1933 viele Österreicher in die USA emigrierten, bildeten sich dort neue Traditionen der Austrians. Frühere Wiener wie Haberler, Morgenstern und Machlup näherten sich der Neoklassik an. Israel Kirzner vertiefte u.a. die Unternehmertheorie in New York wo sein Doktorvater Mises starb. In Auburn entstand mit dem Mises-Institut eine durch Murray N. Rothbard geprägte anarchokapitalistische Schule, die sich grundsätzlich vom klassischen Liberalismus der Österreicher unterscheidet. Rund um die George Mason University und Peter Boettke prosperiert das traditionelle Forschungsprogramm, erweitert auch durch die Neue Politische Ökonomie des Nobelpreisträgers James Buchanan. Inzwischen sind die Österreicher nach Europa zurückgekehrt. Jesus Huerta de Soto lehrt in Madrid, Jörg Guido Hülsmann in Angers. In Deutschland hielt der Publizist Roland Baader die Erkenntnisse wach. Inzwischen wächst eine Generation nach, die bei den Students for Liberty und der Hayek-Gesellschaft mit Gerd Habermann als treibender Kraft Kontakte hält. Hayek hatte die erkenntnistheoretischen Grundlagen vertieft sowie die Voraussetzungen von Marktwirtschaft und freier Gesellschaft als Frage der Rechtsordnung untersucht („Verfassung der Freiheit“, „Recht, Gesetz und Ordnung“). Eine auch im europäischen Rahmen brandaktuelle Thematik.
Kernideen sind zeitlos
Die Österreichische Schule ruht auf der ganzheitlichen Wissenschaft vom Menschen. Den Kern bildet die Lehre von den Wahlhandlungen (Human Action). Als Praxeologie geht diese Lehre vom umfassenden Handeln des Menschen aus, seinen Zielen und deren Rangfolge – anders als die Psychologie, die vom Innern auf das Handeln schließt. Die Lehre steht über allen Parteien und Konflikten, sie ist objektiv, wertfrei, voraussetzungslos, allgemeingültig und „schlechthin menschlich“. Aus dem Handeln entfaltet Mises die gesamte Wissenschaft der Ökonomie. Der handelnde Mensch – Homo agens – unterscheidet sich vom Homo oeconomicus, der eine Verengung und ein Missverstehen dessen ist, was die klassischen Ökonomen seit Adam Smith im Sinn hatten. Die Trennung von der Neoklassik erfolgte durch Mises und Hayek in den anderthalb Jahrzehnten bis 1949.
Dementsprechend grundverschieden sind die Auffassungen vom Wettbewerb. Die Österreicher erkennen einen vielfältig tastenden Versuch, ein Entdeckungs- und Entmachtungsverfahren, das erst durch die Entscheidungen der Marktteilnehmer, insbesondere der Unternehmer, zustande kommt. Unternehmer nehmen Ungleichgewichte in Form unbefriedigter Bedürfnisse und Informationsgefälle (Alertness) respektive Preisgefälle (Arbitrage) wahr. Ständig im Fluss entstehen die Informationen und Impulse, die Experten des neoklassisch-neokeynesianischen Mainstreams als gegeben annehmen. Die Vorstellung eines optimalen, rationalen und bewusst beschrittenen Wettbewerbs, der in einem Gleichgewicht mündet, erscheint als konstruierte Anmaßung, deckt sich aber mit der heute herrschenden Auffassung und begründet das Kartellamt.
Die Österreichische Schule grenzt sich zudem von Kollektivismen und Aggregaten ab, die nicht handeln können oder nicht direkter Bezugspunkt des Handelns sein sollen, darunter Klassen oder die Nachfrage und das Wachstum. Aus Österreichischer Sicht ist eine Ankurbelung der Nachfrage durch den Staat Unfug, da man komplexe Kooperationsbeziehungen zwischen Menschen nicht wie eine Maschine ankurbeln kann. Eine künstlich vermehrte Geldmenge treibt nur statistische Kennziffern nach oben. Die Ausgaben des Staates gaukeln über die amtliche Statistik Wachstum vor, das nichts taugt, denn echte Wohlstandsmehrung resultiert aus Produktivität, Innovationen, unternehmerischem Handeln. Der Staat gibt nur das Geld anderer Leute aus und auf andere Weise als es die Menschen selbst tun würden. Das Mantra der Keynesianer ist falsch: Wohlfahrt ist nicht Folge von Beschäftigung und diese resultiert nicht aus der Nachfrage. Wir können uns nicht reich shoppen. Keynes Forderung, Investitionen zu sozialisieren, ist nicht zuletzt naiv: Politiker würden das Allgemeinwohl verfolgen, über das richtige Wissen verfügen und Schulden in prosperierenden Zeiten abbauen. Zugleich lässt sich die (Um-)Verteilung im Namen „soziale Gerechtigkeit“ nicht von der Produktion abkoppeln – eine andere Verteilung sorgt automatisch für andere Produktionsanreize. Die Mietpreisbremse macht den Bau von Mietwohnungen unattraktiv und ihre Umwandlung in Eigentumswohnungen attraktiv. Mindestlöhne bremsen die am wenigsten produktiven Menschen aus, sie finden keine Arbeit mehr. Ein Gesundheitssystem ohne direkten Kosten-Nutzen-Zusammenhang führt erst zu Verschwendung und dann zu Rationierungen.
Heute gilt es sich wieder auf das Diktum von James Buchanan zu besinnen: „Die Ökonomie ist das Erforschen vom umfassenden System der Tauschbeziehungen“. Es kann nicht um mehr Wachstum in amtlichen Statistiken und eine zentral geleitete Verteilung gehen, sondern um die institutionellen Voraussetzungen für florierende Tauschverhältnisse. Den größten Wachstumsschub in Deutschland, Europa und den USA würde eine Laissez-faire-Politik ermöglichen. Die beste Politik „sozialer Gerechtigkeit“ wäre ein Ende der Politik des billigen Geldes und eine Entstaatlichung des privilegierten Finanzsektors. Der „Österreichische Staat“ wäre für die Rahmenordnung zuständig, die Durchsetzung des Rechts. Eingriffe in den Markt bleiben illegitim.
3 x p + 3 x i
Die Formel von Peter Boettke, bringt es auf den Punkt: Drei „p“ sorgen für drei „i“. D.h. property, prices and profit & loss führen zu incentives, information and innovation. Ohne die drei „p“ gibt es keine drei „i“. So einfach kann Ökonomie sein und zugleich so tiefgründig. Die Politik hat nicht erst seit der Finanz- und Staatsschuldenkrise Eigentum zahllosen Vorschriften und Vorbehalten unterworfen, Preise werden nach oben und unten beschränkt, Verluste sozialisiert. Für Österreicher sind Marktwirtschaft und Wettbewerb Entdeckungs- und Entmachtungsverfahren. Das Koordinationsproblem kann nur mittels der sechs Buchstaben gelöst werden. Es gibt nur schlechtere Alternativen. Der epochale Aufsatz von Ludwig von Mises von 1920 beweist, dass Sozialismus und Dritte Wege das Kalkulationsproblem nicht lösen können. Heute trägt uns der bürokratische Sozialismus von EU, EZB und Regierungen auf Samtpfoten in eine verstaatlichte Welt. Die längste historische Phase von Niedrigzinspolitik und billigem Geld beeinträchtigt Produktivität, Innovationsfähigkeit und Wohlstand. Japans Stagnationskrise im nunmehr dritten Jahrzehnt weist den Weg. In den USA ist bereits von „säkularer Stagnation“ die Rede. Die Ursache soll unbekannt sein – nicht für Österreicher.
Ideales Wirtschafts- und Geldsystem
Die „spontane Ordnung“, in der Sprache der Klassiker die „unsichtbare Hand“, ist der starken Hand des einfältigen Hirns überlegen. Notwendig ist eine Freiheitsinfrastruktur, die das Privateigentum schützt, mit Institutionen, die für Vertragssicherheit und Stabilität des Rechtsrahmens sorgen und so Unsicherheit reduzieren. „Lasst uns machen!“ lautet erneut die Devise. Ein unbeeinflusster Markt ist eine Verbraucherdemokratie, eine Herrschaft der Konsumenten und damit aller Bürger. Die Alternative ist die Herrschaft von Politikern, Bürokraten und Lobbyisten. Die Folge sind monetäre Boom-und-Bust-Krisen und wachsende Ungleichheit. Jeder Markteingriff zugunsten von Einzelinteressen verstößt gegen das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz. So gesehen ist der unbeeinflusste Markt gleichbedeutend mit der Herrschaft des Rechts. Heute führen uns die Verfechter „sozialer Gerechtigkeit“ an der Nase herum: Der Staat ist die große Fiktion, nach der jeder auf Kosten des anderen leben kann. In der guten alten Welt gab es noch den internationalen Goldstandard mit einer automatischen Bremse, der eine schlechte Geldpolitik und Staatsverschwendung mit dem Abfluss von Gold ins Ausland strafte. Heute wären Geldfreiheit, ein Wettbewerb von privaten Währungen mit Bankenfreiheit und voller Haftung statt staatlicher Monopole und Sozialisierung von Verlusten geboten. Die Österreichische Schule is(s)t einfach besser.
Quelle: Smart Investor. Oktober 2015. Beilage “Gold 2015”, 6-8.