Zu vertrackt für Experten, lasst die Menschen machen
Zu vertrackt für Experten, lasst die Menschen machen

Zu vertrackt für Experten, lasst die Menschen machen

Zu vertrackt für Experten, lasst die Menschen machen

Wird es in Deutschland noch Wohlstand für alle geben? Pessimismus ist das derzeitige Lebensgefühl. Ein Grund dürfte darin liegen, dass für viele Bürger nicht erkennbar ist wie Parlament und Regierung, die weit entfernte EU sowie die Staatsbürokratie in Deutschland und der EU drägende Probleme lösen sollen. Die Staatsbürokratie hat zunächst selbst einen erheblichen Modernisierungsbedarf. Ihre Mitarbeiter leiden auch unter überbordender Bürokratisierung. Mehr noch scheinen aus Sicht vieler Bürger wesentliche Probleme von den Eliten und der aktuellen wie früheren Regierungen verursacht worden zu sein. Probleme bleiben ungelöst, stauen sich auf, mindern Lebensqualität und Lebensperspektiven. Inzwischen hast sich Unsicherheit verbreitet. Das ist für Investitionen schädlich und Teil des derzeit noch ausweglos erscheinende Standortproblems. Ein historisches Muster wie Robert Higgs für die USA aufgezeigt hat (Regime uncertainty).

Vielen Bürgern scheinen Staat und Politik sowohl das Problem als auch die Lösung zu sein. Das spiegelt sich in dem gigantischen Projekt der Transformation, ob auf globaler Ebene oder in Deutschland als Energiewende. (David Rubens nahm das zum Anlass für seine Thematisierung des nachfolgend besprochenen Aufsatzes)

Eine allgemeine Theorie des Planens

In den USA sah die Lage Anfang der 1970er Jahre ähnlich aus und war zugleich grundverschieden. Inflation, Wohlstandsschub für eine breitere Mittelschicht, urbane Wohnungsknappheit, aus den Nähten platzende Städte, Vietnam-Krieg in der Endphase. Zugleich standen in der (angewandten) Wissenschaft Planungsoptimismus und das Streben nach geeigneter Modellbildung für die Lösung von Problemen vor dem Aus. In diesem Zusammenhang lautete eine Frage, ob die Aufklärung bis zum Ende des 20. Jahrhunderts vollendet werde oder auf dem Sterbebett liege.

Diese Frage stammt aus einem Klassiker, dem Aufsatz der Städteplaner Horst Rittel und Melvin Webber „Dilemmas in a General Theory of Planning“. Rittel und Webber hatten eine fundamentale Beobachtung gemacht: Soziale Probleme und politische Lösungsversuche lassen sich nicht adäquat beschreiben. Bereits die Definition des Problems bleibe unvollständig und die Lösung verursache auch noch neue Probleme.

Man darf diese Erkenntnis einen Moment lang bedenken.

Das Problem ist demnach nicht nur das Problem, nicht nur die Problemformulierung, sondern jede Problemformulierung bleibt ein unzulänglicher Ausschnitt der Realität, der auch noch in einer subjektiven Perspektive verhaftet bleibt.

Auf Seite 159 des Aufsatzes heißt es:

By now we are all beginning to realize that one of the most intractable problems is the problem of defining problems (of knowing what distinguishes an observed condition from a desired condition) and of locating problems (finding where in the complex causal networks the trouble really lies). In turn, and equally intractable, is the problem of identifying the actions that might effectively narrow the gap between what-is and what-ought-to-be. As we seek to improve the effectiveness of actions in pursuit of valued outcomes, as system boundaries get stretched, and as we become more sophisticated about the complex workings of open societal systems, it is becoming ever more difficult to make the planning idea operational.

Dazu passend konstatieren Rittel und Webber, in pluralistischen Gesellschaften gebe es kein eindeutiges Gemeinwohl. Was Gemeinwohl sei, bleibe subjektiv und damit, wenn man es weiterdenken möchte, ein Partialwohl. Die beiden Professoren erkannten wie angedeutet, dass eine objektive Auseinandersetzung mit Problemen per se unmöglich ist und stets Standpunkt bezogen bleibt.

Problemklassen

Eine fundamentale Bedeutung kommt ihrer Unterscheidung von Problemen in „tame“ und „wicked“ zu, also gezähmte, beherrschbare, einfache versus vertrackte, komplexe Probleme. Im zweiten Teil des Aufsatzes führen sie 10 Merkmale und Eigenheiten von Wicked Problems an, darunter, jedes Problem sei einzigartig, jede Lösung lediglich ein Versuch statt eines Prozesses von Lösung und Verbesserung. Außerdem ließe sich eine Lösung nicht unmittelbarer testen, und: ein Problem sei regelmäßig lediglich ein Symptom eines anderen Problems.

„Dilemmas in a General Theory of Planning“ ist ein bahnbrechendes Werk, das das herkömmliche Verständnis von Planung in Frage stellt(e) und das Konzept der verwickelten Probleme thematisiert(e). Der Artikel stellt im Wesentlichen eine kritische Auseinandersetzung mit dem Planungsoptimismus angesichts der Komplexität des Planungsbereichs dar. Mit Henry Hazlitt (Is politics insoluble?) ließe sich argumentieren, dass die sozialen Probleme und mögliche politische Lösungen in die Kategorie der unlösbaren Probleme gehören, weil wir nicht einmal eine richtige Lösung kennen und es diese gar nicht gibt.

Zu komplex für Planung

Eines der Hauptargumente der Autoren ist, dass die traditionellen Planungstheorien und -methoden nicht in der Lage sind, mit der Komplexität und Ungewissheit von „wicked problems“ umzugehen. In der Systemtheorie spricht man von dynamischer Komplexität und von emergenten Phänomenen, die das Ergebnis vieler Interaktionen sind, ohne dass der Zustand von jemandem beabsichtigt wurde. Friedrich August von Hayek bemühte Adam Ferguson, demzufolge soziale Strukturen die Folge menschlichen Handelns, aber nicht menschlicher Absicht seien (Zitat).

Für die RAND Corporation hatte Charles J. Hitch 1960 die Herausforderung einer klaren Problemdefinition benannt. Das bedeutete in der sich herausbildenden Systemanalyse zu fragen: Was tun Systeme statt woraus bestehen sie? Naturgemäß befasst sich staatliche Bürokratie vor allem mit den Bestandteilen, zumal sie nach dem Organisations- und Zuständigkeitsprinzip funktioniert. Außerdem tut sie sich schwer mit der Analyse des Geschehens von Systemen.

Wenn es keine einzige Problemlösung gibt und Lösungen standpunktabhängig sind, wenn die Probleme Ausdruck dynamischer, komplexer und unvorhersehbarer Zusammenhänge sind, dann wird offensichtlich, dass Planer mit ihrem linearen, schrittweisen Ansatz als Teil traditioneller Planungsmethoden schwerlich erfolgreich sein können.

Derartige Konstellationen treten in Planwirtschaften und jedweder zentralen Steuerung weithin sichtbar auf. Ludwig von Mises hatte das bereits 1920 erkannt und die Unmöglichkeit einer adäquaten Kalkulation im Sozialismus mangels Preisen und Eigentum aufgezeigt (Kalkulationsproblem). Ergänzt um Rittel und Webber würden Sozialisten nicht einmal das Problem richtig verstehen und können es auch nicht hinreichend treffend beschreiben.

Don Lavoie hat in dieser Tradition den Begriff “knowledge problem” geprägt. Das Wissensproblem ist unüberwindbar und verhindert eine allumfassende sozialistische Planung. Es gilt darüber hinaus auch für alle anderen bürokratischen Eingriffe wie Subventionen, Zölle, Quoten, Mindest- und Höchstpreise. Und das Problem ist für Lavoie wesentlich ein sprachliches Problem, das Preise überwinden.

Vor Ort Lösungen finden

Rittel und Webber unterstreichen die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der Planung und fordern die Planer auf, einen stärker partizipativen und adaptiven Ansatz zu verfolgen. Rittel und Webber argumentieren, dass die Bewältigung komplexer Probleme die Einbeziehung verschiedener Interessengruppen, die Anerkennung verschiedener Perspektiven und die Anerkennung des Wertes von lokalem Wissen und Know-how erfordert. Sie schlagen eine Verlagerung von einem technischen, von oben nach unten gerichteten Planungsmodell hin zu einem stärker kooperativen und iterativen Prozess vor, der die betroffenen Gemeinschaften und Stakeholder einbezieht und sich an veränderte Umstände anpasst. Wer hier schemenhaft die unsichtbare Hand erkennt, liegt richtig.

Aus liberaler Perspektive liegt ein Lösungsansatz traditionell genau dort, auf der Ebene, auf der die Probleme anfallen (Subsidiarität, Non-Zentralität). Damit verbunden ist ein Wettbewerb als Entdeckungsverfahren besser geeigneter Lösungen, der dezentrale Bemühungen voraussetzt statt einer (vermeintlichen) Lösung.

Stets müssen Planer für Rittel und Webber ihre Wertannahmen transparent machen und in einen Dialog mit den Beteiligten treten. Damit wird die Vorstellung einer objektiven, rein wissenschaftlichen Planung in Frage gestellt, die in traditionellen Ansätzen vorherrschend war und es heute leider unter dem Rubrum „Follow the Science“ zwischenzeitlich wieder sein sollte. Zuvor waren in den 2000ern erneut fundamentale Zweifel an zentralen und hierarchischen Problemlösungen aufgekommen wie sie Politik und Staat anstreben.

Kurzum, die Alternative zu Experten mit zentralisierten Top down Entscheidungen sind kontinuierliche Bemühungen im kooperativen Wettbewerb um bessere Praktiken. Der Weg zum Optimismus führt damit über Vielfalt, staatliche Zurückhaltung, laissez faire für Bürger und Unternehmen. Das entlastet Parlament, Regierung und Staatsbürokratie.