Amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik auf dem politikökonomischen Prüfstand
Amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik auf dem politikökonomischen Prüfstand

Amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik auf dem politikökonomischen Prüfstand

Amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik auf dem politikökonomischen Prüfstand

Was ist der Staat? Eine Antwort hängt von der Perspektive und den gewählten Kriterien ab. Das Gewaltmonopol ist ein Wesensmerkmal. Streitkräfte dienen der Sicherheit, sie sollen vor äußeren Feinden schützen. Was ist Sicherheit und wie lässt sich Sicherheit erreichen? Fundamentale Fragen der Kategorie „unlösbar“.[1]

Die USA gelten als Hegemon einer liberalen Weltordnung, einer Pax Americana. Seit mehr als 100 Jahren greifen amerikanische Streitkräfte in der Welt ein mit dem erklärten Ziel, für Sicherheit und eine liberale Welt zu sorgen. Das sorgt für Zustimmung und Irritationen, befördert Feindschaft und Antiamerikanismus. Lässt sich eine friedliche, liberale Welt mit militärischen Spezialeinsätzen, Drohnenangriffen, einer Serie von militärischen Interventionen, Kriegen und Machtprojektionen sowie durch hunderte Stützpunkte im Ausland erreichen? Klaffen lediglich Absicht und Resultate auseinander oder gibt es tiefer liegende Probleme? Befördert durch eine Serie gescheiterter Interventionen, State- und Nation-Building-Versuche, darunter Vietnam, Somalia, Afghanistan, Irak, Libyen, wächst das als Isolationismus geschmähte Lager in den letzten rund 10 Jahren zu einer aufklärerischen Alternative. In den USA lautet Restraint die Selbstbezeichnung. 2019 wurde der Think Tank “Quincy Institute for Responsible Statecraft” (https://quincyinst.org) gegründet.

Sowohl im öffentlichen Diskurs als auch in liberalen Kreisen, in den Politikwissenschaften, von den Wirtschaftswissenschaften ganz zu schweigen, fristet eine konsequent liberale Außen- und Sicherheitspolitik ein Randdasein.[2] Im deutschsprachigen Raum blieb eine sicherheitspolitische Alternative zu einem starken, schützenden, intervenierenden Staat vielfach Friedens- und Konfliktforschern überlassen.[3] In den USA machen die Arbeiten von Christopher Coyne einen substanziellen Unterschied. Christopher Coyne ist Professor of Economics an der George Mason University und nicht nur als Associate Director of the F. A. Hayek Programm for Advanced Study in Philosophy, Politics, and Economics at the Mercatus Center in der Tradition der Austrian und der Virginia School verwurzelt.

Sein 2022 beim Independent Institute erschienenes Buch “In Search of Monsters to Destroy. The Folly of American Empire and the Paths to Peace” kritisiert Idee und Praxis des amerikanischen Empire auf der Grundlage der „Untersuchung von Beschränkungen und Anreize, auf die Imperialismus trifft genauso wie das Anerkennen von negativen, illiberalen  Konsequenzen von Auslandsinterventionen”. (S. 119) Der Leser hält eine politische Theorie in den Händen, die insbesondere in der Tradition von Ludwig von Mises[4], die systemimmanenten, kontraproduktiven Folgen sicherheitspolitischer Interventionen aufzeigt. Christopher Coyne nutzt die Perspektiven und liberalen Prinzipien der Politischen Ökonomie, die er seit fast zwei Jahrzehnten auf ein primär politikwissenschaftliches, sicherheitspolitisches Forschungsgebiet anwendet. Dabei verbindet er liberale Theorie mit historischen Erläuterungen und empirischen Beispielen. Wer einige seiner Monographien[5] kennt, angefangen mit „After War: The Political Economy of Exporting Democracy (2007)“, über „Doing Bad by Doing Good: Why Humanitarian Action Fails (2013)“ und „Tyranny comes home: The Domestic Fate of U.S. Militarism“ (2018) bis zu “Manufacturing Militarism: U.S. Government Propaganda in the War on Terror” (2021), kann die hier zu besprechende Kritik am amerikanischen Imperialismus tiefer und breiter abgestützt reflektieren. Der Titel des Buchs „Monsters to Destroy“ ist durch einen Brief des damaligen Außenministers John Quincy Adams inspiriert. Aufgrund der gesellschaftspolitischen Botschaft ist der Band gut beim Think Tank Independent Institute aufgehoben. Sonst publiziert Coyne bei Stanford University Press.

Grundlage für das Buch bilden zehn Aufsätze, die zwischen 2016 und 2020 erschienen sind. Gegenstand ist eine „kritische Analyse des amerikanischen Empire“ (1) durch die „Linse der ökonomischen Art und Weise zu denken” (ebenda). Coyne berücksichtigt die fatalen menschlichen Kosten und enormen finanziellen Ressourcen, die seit 9/11 fast eine Million Tote, fast 40 Millionen Vertriebene und rund 8 Billionen US-Dollar betragen. (6f.)

Das Buch besteht aus sieben Hauptkapiteln mit prägnanten Text-Boxen am Ende, die ein zusammenfassendes, zusätzlich einordnendes Resümee bieten.

„American Empire“ setzt als einleitendes Kapitel am real existierenden, nach Coynes Bewertung gescheiterten militärischen Imperialismus an, zeichnet dessen historische Entstehung nach, thematisiert die Existenz eines permanenten Kriegskomplexes und dessen Wirkung nach innen (militärisch-industrieller Komplex, Vetternwirtschaft) und nach außen (USA als Weltmeister der Waffenexporte).

„Illiberal Foundations of a Liberal Empire” befasst sich mit dem Widerspruch, eine liberale Welt mit Gewalt, Drohungen, Rechtsverstößen und der Zusammenarbeit mit brutalen autoritären Regimen erreichen zu wollen. Dazu werden Mechanismen aufgezeigt, die einem strukturell bedingt illiberalen, expansiven, exklusiven Staat innewohnen, der Freiheiten im Inland erodiert, sei es durch Veränderungen der Institutionen, darunter die Verfassung (z.B. National Security Act von 1947), durch die Zentralisierung von Macht und durch Zwang ausübende Technologien. Eine illiberale Mentalität, eine industrielle Organisation, eine Konzentration auf Staatsmacht und die Ausdehnung des Staates sei die Realität eines Empires. (51)

“Liberal Empire as State Capitalism Writ Large” behandelt einen dezidiert politikökomischen Aspekt, der bei politikwissenschaftlichen Betrachtungen von Außen- und Sicherheitspolitik zu kurz kommt: den immanenten Staatskapitalismus. Dazu gehören für Coyne systematische Vetternwirtschaft, der Primat der Politik statt wirtschaftlicher Prioritäten, die unausweichliche Ausdehnung des Staates per Kriegsindustrie („real-world governments can never be limited to the role of a referee“, 55, kursiv im Original), dessen selektive Planung und eine Nähe zu faschistischen Ökonomien („The fascist economic system describes the military actor better than does capitalism“, 60). Imperialismus bedeute Staatswachstum und Paternalismus gespeist durch das „eiserne Dreieck“ Kongressausschüsse, Bürokratie, Sonderinteressengruppen. (66).

“The Limits of Liberal Imperialism” bestehen im Wissensproblem, dem Ignorieren von spontanen Ordnungen weltweit durch die Staatsangehörigen in Militär und Bürokratie, der mangelnden Eins-zu-eins-Umsetzung von Plänen, zudem in politikökonomischen Problemen, darunter aus Sicht der betroffenen Bevölkerung die mangelnde Glaubwürdigkeit eines dauerhaft konstruktiven Engagements der Interventionisten, ferner bürokratische Pathologien und Anreizprobleme herrschender Eliten.

“Illustrating Public Bads: The War on Drugs in Afghanistan” und “Illustrating Public Bads: Drones als Mechanized Terror” zeigen als Fallbeispiele exemplarisch die kontraproduktiven Auswirkungen interventionistischer Politik mit drastisch wachsenden Mohnernten nach der US-Intervention und wachsender organisierter Kriminalität sowie massenhaft getöteten Zivilisten, die aus der Sicht der Invasoren als Kollateralschäden gelten und damit für Christopher Coyne dramatisch unterschätzt werden. Wer sich etwas mit dem Krieg gegen den Terror beschäftigt, findet dazu selbst unterstützende Aussagen hochrangiger US-Militärs.

Das Schlusskapitel “Rethinking Empire” fasst wesentliche Aspekte der Kritik zusammen und wirbt für einen Perspektivwechsel – weg von einer „Kultur des Militarismus hin zu einer Friedenskultur“ (121). Als politische Alternative schlägt Christopher Coyne eine polyzentrische Verteidigung vor. Die skizzierten Gedanken beinhalten eine Abkehr vom Nationalstaat, eine Präferenz für individuelle Entscheidungen und eine ökonomische Logik sowie die Feststellung, dass Bürger Sicherheit nicht vollständig outsourcen könnten und teilweise bereits privat dafür sorgen würden. (124) International gebe es keine Weltregierung. Privat würden Waffenbesitz und freiwillige Bürgerwehren (Neighbourhood Watch Groups) Beiträge leisten. Zudem habe Gene Sharp mit „The Politics of Nonviolent Action“ die Wirksamkeit gewaltlosen Widerstands aufgezeigt.

Bewertung

  1. Die stringente, primär lineare Argumentation wird überzeugend und akzentuiert entwickelt. Neue Perspektiven werden in das alte Feld der Sicherheitspolitik integriert, insbesondere ökonomische Expertise. Viele Hinweise auf unbeabsichtigte Folgen und gleichermaßen unvorhergesehene wie strukturell fehlende Voraussetzungen machen das Buch lesenswert. Die tödlichen Folgen des Interventionismus lassen diesen tatsächlich als verrückte Idee erscheinen. Der staatlich-bürokratisch-industrielle Apparat negiert das Koordinationsproblem und versucht mittels Planung, Organisation, Befehl und Gehorsam sowie Technik dynamische Komplexität in der Welt zu bearbeiten. Mises hätte seine Freude an dem Buch.

Beim Lesen darf man sich regelmäßig die Frage stellen: Was wäre, wenn … es kein Empire gegeben hätte, kein Eingreifen im Ersten und Zweiten Weltkrieg, keinen westlichen Block unter amerikanischer Führung?

  1. Die Idee der polyzentrischen Verteidigung darf noch über den Status einer Idee hinaus entwickelt werden. Das gilt sowohl für die nicht thematisierten unbeabsichtigten Folgeerscheinungen des privaten Waffenbesitzes, der in den USA angesichts der „Kollateralschäden“ keine einfache Vorbildfunktion im In- und Ausland erlangen kann. Das gilt auch für die Vorstellung, eine polyzentrische Verteidigung wäre in Europa geeignet etwa den Großmachtvorstellungen Putins mit einer Expansion im Ausmaß des früheren Zarenreiches Einhalt zu gebieten. Historisch lässt sich das auf Beispiele wie Napoleon, Hitler, Stalin übertragen. Es gibt einen Ressourcen- und Professionalitätsunterschied zwischen primär privat organisierter Verteidigung à la Guerilla oder Miliz und dem integrierten Gefecht von Einsatz erprobten Boden-, Luft- und Seestreitkräften zu erörtern. Im Übrigen gilt das bereits im Inland. Insofern scheint die polyzentrische Verteidigung von Voraussetzungen zu leben, die sich nicht selbst schaffen kann, der Wirksamkeit in einer Welt ohne starke Akteure.
  2. Schließlich möchte ich das Sicherheitsdilemma ansprechen. Was ist damit gemeint? Private Lösungen des Sicherheitsproblems in und zwischen Staaten haben sich nicht durchgesetzt. Der Standardansatz mit einem Gewaltmonopolisten und dem bürokratischen Apparat geht mit Ausdehnung einher und bedroht die Sicherheit der Bürger, die er gewährleisten soll. Gibt es dafür eine Lösung?

Wahrscheinlich gibt es weder die Lösung noch eine zufriedenstellende, dauerhafte Lösung, eher ein Ringen um bessere und schlechtere Entwicklungen, vielleicht auf einer Achse zwischen privat und staatlich. Dabei dürfte gelten: privat ist nicht per se gut und staatlich nicht per se schlecht als Lösung geeignet. Stets geht es um Menschen und Institutionen im Kontext der Zeit, vielleicht auch um Wettbewerb für bessere Lösungen.

Das dürfte u.a. an einem mathematischen respektive systemisch-dynamischen Phänomen liegen: The winner takes it all. In einer Wettbewerbssituation um Macht begünstigt die Akkumulation denjenigen, der über etwas mehr Ressourcen am Start verfügt, wenn sonst alle Faktoren gleich sind. Das würde grundsätzlich für eine Oligopol- und Monopoltendenz in Sicherheitsbelangen sprechen.

Historisch haben private Sicherheitsakteure dabei geholfen moderne Staaten zu errichten, darunter die Condottieri in Italien. Paramilitärische Organisationen wie Hizb Allah und Islamischer Staat besitzen zugleich protostaatliche Tendenzen. Das wäre wiederum keine attraktive Alternative zu einem staatlichen Monopol. Ein Grund dürfte die territoriale Komponente von Sicherheit sein. Friedlicher Wettbewerb harrt dort noch einer Lösung. Das gilt auch für Parallelorganisationen wie die Hanse, die innerhalb einer internationalen Staatenordnung und innerhalb von Staaten existierte.

Weitergedacht dürfte das Loswerden von Staatsführungen keine Lösung des Machtproblems bieten. Der Staat lässt sich nicht einfach entfernen, weil es sich nicht um eine leichthin abgrenzbare Institution handelt, nicht nur als Tiefer Staat. Vielmehr verfügen die Akteure und Akteursgruppen, die organisiert sind, über Ressourcen (realpolitisch und konstruktivistisch) und damit die Macht, um sowohl zu herrschen als auch zu regieren.[6] Sezession bleibt ein seltenes Phänomen.

Eine Schlüsselfrage lautet daher: Was müsste passieren, damit Sicherheit auf andere Weise als bisher gewährleistet wird? Das wendet die Perspektive weg von der treffenden liberalen Kritik hin zur wohlverstandenen liberalen Utopie. Ein Perspektivwechsel auf das Sicherheitsdilemma kann zu dem Schluss kommen, dass viele, wenn auch bei weitem nicht alle Probleme, lokal sind und lokale Lösungen benötigen. Dezentrale oder polyzentrische Lösungen wären in einer zunehmend ausdifferenzierten, zugleich global verbundenen Welt auch über politische Grenzen hinweg möglich. Allerdings wirken dem seit einigen Jahren Zentralisierung und Deglobalisierung entgegen. Zusätzlich zu ausstehenden innerstaatlichen Alternativen für mehr Sicherheit sind längst zwischenstaatliche sicherheitspolitische Herausforderungen zurückgekehrt. Wie so häufig wirft das die Frage auf: Was ist der Staat? Was soll er sein und werden?

 

Literatur: Christopher J. Coyne: In Search of Monsters to Destroy. The Folly of American Empire and the Paths to Peace, Independent Institute, Oakland 2022, 217 S.

Endnoten:

[1] Henry Hazlitt (1976): Is politics insoluble?, in: Modern Age, Fall, 395-401. Lösungen für politische Probleme sind vielfach per se unbekannt und uneindeutig.

[2] Eine Ausnahme ist Erich Weede (2005): Balance of power, globalization and the capitalist peace, Liberal Verlag, Berlin.

[3] Siehe dazu exemplarisch das jährliche Friedensgutachten der deutschen Friedensforschungsinstitute seit 1987. http://friedensgutachten.de

[4] Siehe exemplarisch Ludwig von Mises (1940/1998): Interventionism: An Economic Analysis, Indianapolis und Paul Heyne, Peter J. Boettke, David L. Prychitko (2016): The Economic Way of Thinking, 13. Aufl. Upper Saddle River.

[5] Für einen Überblick siehe Michael von Prollius (2023): Interventionismus ist kontraproduktiv, in: Novo Argumente am 28.04.2023 https://www.novo-argumente.com/artikel/interventionismus_ist_kontraproduktiv

[6] Siehe Steven A. Cook (2007): Ruling but not Governing. The Military and Political Development in Egypt, Algeria, and Turkey, John Hopkins University Press, Baltimore.