Der Blick voraus
Der Blick voraus

Der Blick voraus

Der Blick voraus

Die Zukunft interessiert uns alle, weil wir darin leben werden. Gerade deshalb lauten Plädoyers im Sport und für den Alltag: Konzentriere Dich auf das, was Du jetzt tust. Achtsamkeit beim Tun. Und: Kümmere Dich nur um das, was Du beeinflussen kannst – mach Dir keine Sorgen um den Rest.

Zugleich lieben Menschen Erzählungen. Heute spricht man von Narrativen. Das sind schlüssig erscheinende Begründungen mit scheinbar unhintergehbarer Stimmigkeit, ob rückwärtsgewandt oder nach vorn gerichtet. Klarheit. Einfach und konsequent.

In Deutschland ist wie in anderen Teilen des Westens eines dieser Narrative der Niedergang. Politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich werden Krisenanzeichen zu Verschlechterungen der tatsächlichen Verhältnisse zusammen mit einer politischen Ausweglosigkeit verbunden. Klimakrise – Überhitzung, Überschwemmung, Vertrocknung, der Planet stirbt. Zugleich soll es noch nicht zu spät sein, noch sei die Rettung durch verringerten CO2-Ausstoß und Verzicht auf Lebensqualität möglich. Der russische Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen die Ukraine gilt mit dem Sanktionsregimen den einen als Siegeszug von David gegen Goliath und den anderen als Desaster mit sinnloser Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, Unterstützung eines korrupten Regimes und der Aussicht auf Atomwaffeneinsatz. Wirtschaftspolitisch sieht es besonders düster aus: Maximale Belastung von Bürgern und Unternehmen mit Energiekosten, Steuern und Abgaben, zudem Geldentwertung und kaputte Infrastruktur sowie Bürokratielähmung bei gleichzeitigen Rufen nach dem Staat und geringem Vertrauen in die Regierung.

Kollaps, Verfall, Erosion, Verschlechterung der Lebensverhältnisse. Der Untergang des Römischen Reiches. Die Krisen und der Niedergang der Weimarer Republik. Aufstieg und Fall großer Mächte. Für viele dieser Schlagworte und Formeln lassen sich Argumente, Beispiele, Belege finden. Allerdings drohen wir damit das Kind mit dem Bade auszuschütten. Die Fortschreibung der Vergangenheit in die Zukunft hilft nicht wirklich und nur dann, wenn sich nichts ändert. Zwei Beispiele illustrieren das: Sport- und Konjunkturprognosen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die New England Patriots den Super Bowl LI gegen die Atlanta Falcons gewinnen würden, betrug im dritten Viertel rund 1 Prozent. Das Ergebnis: Sieg für die Patriots. Bayern München gilt als Verein mit Meisterabonnement – die Liga spielt nur noch die Plätze aus. Derzeitiger Tabellenrang am 7. Spieltag: Platz 4 mit 5 Punkten Rückstand auf Spitzenreiter Union Berlin nach einer Niederlage und drei Unentschieden. Konjunkturprognosen, die (nur) ein Jahr in die Zukunft schauen, haben mit Rezessionen zu kämpfen und mit dem Einfluss der Geldpolitik sowie mit exogenen Schocks. Die Modelle der EZB sind so konstruiert, dass sie nach überschaubarer Zeit die anvisierten 2% Inflation anzeigen.

Was tun? Was kann der interessierte normale Bürger tun?

Zunächst erscheint es hilfreich, sich noch einmal auf Grundlagen von Aussagen zu besinnen. Es gibt Prämissen. Die können wahr oder falsch sein. Es gibt Schlussfolgerungen, die können valide oder nicht valide sein. Es gibt Beobachtungen und es gibt Aussagen, die auf einer Theorie beruhen. Die Aussage und die Theorie lassen sich verifizieren oder falsifizieren. Dafür braucht man in der Regel Daten, und die Daten müssen auf die Aussage anwendbar sein, außerdem muss deren Qualität stimmen. Ein Modell reduziert die Realität, genauer einen Ausschnitt der Realität. Und das Modell eignet sich mehr oder minder, um Erkenntnisse über die Realität zu gewinnen. Wir alle tragen bestimmte Vorstellungen über die Welt in uns, Theorie und Modelle, auch in einfacher Form als Annahmen. Schließlich lohnt es sich sowohl Korrelationen von Kausalitäten zu unterscheiden als auch Kausalitäten und Wahrscheinlichkeiten. Menschen fällt es schwerer, die Wahrscheinlichkeit von Entwicklungen einzuschätzen als Kausalitäten anzunehmen.

Stets gilt es sich zu fragen: Wer ist der Urheber der Aussage? In welchem Kontext und auf welcher Grundlage ist die Aussage erfolgt? Was ist das Ziel der Aussage und was nicht? Was spricht dafür und was dagegen? Hinzu kommt noch eine Sprachbarriere, weshalb es sich lohnt, das Wollen, das hinter der Aussage steht zu erkennen und zu berücksichtigen.

Nun ist klar, warum in sozialen Medien ein substanzieller Austausch schwierig ist.

Zudem sollte klar sein, dass eine solide Information mit eigenen Anstrengungen verbunden ist. Ein Bild, ein Spruch oder ein Video, eine Emotion, beides dient anderen Zwecken.

In den Medien finden wir selten genug Qualität, um die Berichte für bare Münze nehmen zu dürfen. Das fällt heute aufgrund frei verfügbarer hochwertiger Informationen rasch auf. Alles hilft nichts: Selbst denken ist unumgänglich.

Außerdem können wir uns um den Blick nach vorn bemühen, um selbst Entwicklungen zu verstehen. Dafür kann dreierlei hilfreich sein:

  1. Indikatoren anschauen.
  2. Entwicklung im Umfeld beobachten.
  3. Informationen sammeln, die den eigenen Ansichten widersprechen.

Die Indikatoren haben einen Vorteil und einen Nachteil. Der Vorteil ist, in nur einer Zahl werden Informationen zusammengefasst. Der Nachteil: Es sind historische Daten, die uns wenig über die Zukunft sagen.

Entwicklungen in unserem Umfeld sind qualitative Beobachtungen. Ein Vorteil: Sie beziehen sich unmittelbar auf unser Lebensumfeld. Ein Nachteil ist, dass sie sehr subjektiv und selektiv sind.

Widersprechende, von unseren Auffassungen abweichende Informationen sind besonders wertvoll und fordern uns heraus. Felix Somary, der Rabe von Zürich, war ein Meister darin, diese wahrzunehmen und zu verwenden. Auch deshalb sind politische Korrektheit und sozialpolitische Diskriminierung (aka Cancel Culture) so problematisch – sie verengen den Blick. Dissens ist produktiv. Viele unterschiedliche Perspektiven sorgen für ein klareres Bild.