Der Haken an der Piratenökonomie
Der Haken an der Piratenökonomie

Der Haken an der Piratenökonomie

Eine Piratenbucht. Grölende, grimmige Gestalten. Ein chaotischer Lotterhaufen. Weit gefehlt! Der Ökonom Peter Leeson kommt in einer ökonomischen Analyse geschichtswissenschaftlicher Darstellungen des Piratenlebens und Quelleninterpretationen zu anderen Ergebnissen.

Das Buch ist exzellent designed, anthält einen Heiratsantrag und stammt von einem 2009 aufstrebenden jungen Ökonomen an der George Mason University, der inzwischen ein etablierter anarcholiberaler Professor ist.

The Invisible Hook behandelt das sagenumwobene Thema Piraten, insbesondere in ihrer Blütezeit Anfang des 18. Jahrhunderts, mit einem bis dato einzigartigen Ansatz: der ökonomischen Art und Weise zu Denken – angewandt eben auf das Handeln der Piraten.

Eine Errungenschaft ist, dass Peter Leeson auf der Grundlage der Rational Choice Theorie die verschiedenen Facetten des rationalen, demokratischen, Nutzen orientierten Handelns der Piraten aufzeigt und dabei herausarbeitet, wie eine staatenlose Ordnung mit tragfähigen, sanktionierten Rechtsregeln entsteht – geleitet wie von einer unsichtbaren Hand oder einem unsichtbaren Piratenhaken. Eine Kleingruppendemokratie mit Verfassung lange vor deren Etablierung in Europa.

Der Haken an dem Buch ist, dass die betonte Einzigartigkeit der ökonomischen Analyse zwar tatsächlich bedeutende Einsichten und Erklärungen liefert, aber unterkomplex bleibt. Das gilt für die begrenzte Reichweite der Rational Choice Theorie. Die brutale, räuberische Selbstorganisation erscheint zudem in einem anderen Licht, wenn man außer ökonomischen noch politische, militärische, infrastrukturelle, ethische Perspektiven zumindest in Betracht zieht. Es klingt wie ein anarchistischer Treppenwitz, dass die von Peter Leeson erklärtermaßen bewunderte emergente Piraten-Ordnung mit demokratisch gewählten Kapitänen und gleichen Anteilen an der Beute sowie rechtlich geordneten Invaliditätsversorgungen nur solange bestehen konnte bis eine zunehmende Staatspräsenz den Überfällen und dem Erbeuten fremden Eigentums zur Erleichterung aller anderen Seefahrer ein Ende setzte.

Der Haken noch einmal genauer betrachtet.

Den Piratenallltag und dabei vermeintlich nicht-ökonomische Themen mit ökonomischen Mitteln zu bearbeiten, das ist ein Erkenntnisgewinn. Schlüssig finde ich unter anderem die Markenbildung und Signalwirkung der Piratenflagge, die zudem einen Beitrag zur Gewaltminderung leisten sollte. Peter Leeson zeigt die Checks und Balances auf, die Piraten erfanden, um die Mannschaft gegen übergriffige Kapitäne zu schützen, wie es auf Handelsschiffen üblich war. Dazu gehörte eine kodifizierte Sozialordnung, die Rechte und Pflichten festlegte. Kapitäne konnten rasch entlassen werden. Der Quartiermeister besaß erhebliche, gleichfalls beschränkte Rechte und Pflichten. Tatsächlich schufen die Piraten eine konstitutionelle Demokratie, die auf einer Herrschaft des Rechts ruhte, das Zusammenleben friedlich ordnete, allerdings unrechtmäßigen Zwecken diente. In diesem Zusammenhang werfen die untersuchten Zwangsrekrutierungen und Folterpraktiken Fragen auf, die über eine rationale, Nutzen, Effizienz und Effektivität orientierte Erklärung hinausgehen. Zugespitzt und übertragen auf andere historische Phänomene: Was würde es bedeuten, wenn ein systematischer Massenmord zur Stabilisierung der durchführende Gruppe auf einer selbst gegeben, komsentierten sozialen Ordnung beruhen würde? Eine andere Frage liegt nahe: Wenn das bemerkenswerte Ordnungsphänomen selbst gegebener Regeln betont wird, warum wurde dies nicht zu produktiven Zwecken eingesetzt? 

Ausgeblendet werden zudem Probleme wie die Stimmung der Massen und ihre Manipulierbarkeit – also die Dummheit der Massen und daraus resultierende Probleme als Phänomen, das parallel zur Weisheit der Masse existiert. Methodisch problematisch erscheint mir zudem der Ansatz, sich sowohl für ökonomische Erkenntnisse Piratenbeispiele zu suchen als auch umgekehrt in solchen Beispielen ökonomische Erklärungen zu implementieren. Hier lauern Biases. Es fehlen empirische Erkenntnisse und Berücksichtigungen von Umkehrschlüssen wie die kontraproduktive Wirkung von barbarischer Gewalt. Logisches Schlussfolgern reicht nicht aus, um komplexe Phänomene zu erfassen. 

Peter T. Leeson: The Invisible Hook. The Hidden Economics of Pirates,Princeton University Press, Princeton 2009, 271 S., Hardcover, Taschenbuch 16,31 Euro.