Für eine neue Arbeitsweise, aber die Revolution bleibt aus
„Respekt, Wertschätzung, Anerkennung und eine Beschäftigung, die den eigenen Stärken und Neigungen entspricht.“ Das sind die Erwartungen der jungen Generation und der ihr vorangehenden Generationen, zumindest nach Gerald Wood, dem Mitgründer der Unternehmensberatung Authentic Consult. (Link zum Artikel) „Wer tun darf, was er gut kann, und dafür Anerkennung bekommt, weil seine Arbeit Sinn macht und zielführend ist, der kommt schnell in den Flow.“ konstatiert der früher unter anderem bei Gallup tätige Change-Manager.
Damit ist ein Ideal beschrieben. Die Realität ist eine andere. Die Zahl der Mitarbeiter ohne Bindung an ihr Unternehmen ist laut Gallup-Engagement-Index so hoch und damit so schlecht wie seit 2012 nicht. Über 7 Millionen Mitarbeiter sollen innerlich gekündigt haben. Schlechte, wenn auch verbesserte Führung und mangelnde emotionale Bindung an das Unternehmen gelten als gravierende Probleme. Die Produktivitätsverluste sollen laut Statistischem Bundesamt bei rund 150 Milliarden Euro liegen. (Link)
Gerald Wood entwirft ein Szenario, auch wenn es mit prognostischer Gewissheit verkündet: “Mehr Freiheiten und mehr Eigenverantwortung werden die neue Arbeitswelt prägen. Starre Prozessvorgaben, Checklisten und Kontrollen werden zurückgedrängt.” (Link) seine wesentlichen Annahmen lauten:
- Qualifizierte Mitarbeiter würden zu einer noch knapperen Ressource, demographisch bedingt.
- Deren Marktposition verbessere sich. Selbstbeschreibungen eigenständiger arbeitender Mitarbeiter würden das Einfügen in vorgefertigte Stellenbeschreibungen und das Abarbeiten von Aufgaben verdrängen.
- Ein neuer Technologieschub werde dazu führen, dass Mitarbeiter ihre eigene KI und Softwarewerkzeuge mitbringen würden.
Zusammen genommen werde sich die Art zu arbeiten verändern und damit die dafür erforderliche Führung, das Selbstverständnis und die Organisation der Zusammenarbeit eingeschlossen. Offenkundig eine Herausforderung für Unternehmen, auch (IT-)sicherheitlich, und für die (emotionale) Bindung selbstbestimmterer, unabhängigerer Mitarbeiter.
Ob sich die Arbeitswelt so entwickelt und wer tatsächlich eigenverantwortlicher arbeitet, ist offen. Die revolutionär anmutende Prognose klingt zunächst nach einer frohen Botschaft und stellt konstruktive Eigenwerbung dar. Das entwertet die Überlegung nicht, für die es bereits Anzeichen gibt, etwa bei qualifizierten Softwareentwicklern und deren Teamarbeit. Offenkundig wird sich die schöne neue Arbeitswelt von Unternehmen zu Unternehmen unterscheiden. Zudem wird sie auch Organisationen betreffen, darunter den staatlichen Verwaltungsapparat.
Skepsis lässt sich mit Reinhard K. Sprenger äußern, der seit Jahrzehnten auf den Mythos Motivation hinweist und, verstärkt durch die Coronapolitik, thematisiert, dass Unternehmen als Kooperationsarenen ohne Präsenz der Mitarbeiter vor Ort nicht reüssieren können. Sprenger verbindet mit Norbert Weiss die Erkenntnis, dass eine andere Führung hilfreich und heilsam wäre. Norbert Weiss sieht die größten Produktivitätspotenziale in einem humanistisch geprägten Umgang der Menschen miteinander in Unternehmen. Das erfordere von Führungskräften vor allem einen geeigneten Charakter. In diese Perspektive lässt sich Gerald Wood schöne neue Arbeitswelt einfügen. Insbesondere machtpolitische Aspekte in Großorganisationen stehen dem im Wege.
Interessant und zeitlos bleibt das Ideal, das hinter dem Ermächtigungsszenario steht. Es scheint dem „passenden Leben“ zu entsprechen, das der Schweizer Kinderarzt Remo H. Largo in seinem gleichnamigen Buch entwickelt. Largo weist eindringlich auf die Individualität der Menschen hin und ihr Bemühen, sich an die Umwelt anzupassen. Für ein zufriedenes Leben bemühen sich Menschen Grundbedürfnisse in sechs Feldern zu befriedigen, darunter drei – für die Arbeitswelt relevante: soziale Anerkennung und Stellung, Selbstentfaltung sowie Leistung.
Was das für die Arbeitswelt bedeutet, dürfte von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein. Zunächst dürfte die schöne neue Arbeitswelt vor allem hochqualifizierten Fachkräften zugänglich sein. Außerdem brauchen Revolutionen gewöhnlich länger. Es gilt Amaras Law. Sinngemäß überschätzen wir die kurzfristigen sichtbaren Effekte (Revolution durch Technik) und vernachlässigen die weitreichenden langfristigen Veränderungen (Evolution durch Technik).
Ein Schlüssel dürfte die Bildung und Sozialisation von Kindesbeinen an spielen. Normierung, Uniformierung, einheitliche Standards zeichnen ein Bildungssystem aus, das durch zentrale staatliche Zulassung bestimmt wird. Die Zertifikate, d.h. standardisierte Abschlüsse mit standardisierten Bildungsgängen und Noten, sind ein schlechter Ersatz für die aufwändigere individuelle Prüfung und Wertschätzung von Menschen. Im IT-Bereich ist man mitunter weiter. Interessant ist nicht das formale Zertifikat, sondern die faktische Fähigkeit und Leistung. Auch hier gibt es indes Erwartungen an das, was zu tun ist, zugleich indes die Frage, wie der und die Entwickler das Team besser machen.
Vor dem Hintergrund anhaltender und zunehmender politischer Normierungsversuche, die auch auf Sprache und Meinung einwirken, und mit Blick auf ein standardisiertes Schul- und Hochschulsystem, das mit der Formel „Bildungseinfalt statt Bildungsvielfalt“ im Hinblick auf Selbstentfaltung und Selbstwirksamkeit kritisiert werden kann, wird die Revolution in der Arbeitswelt noch etwas auf sich warten. Berufstätige sind vielfach über- und unterfordert. Ist das ein relevanter Grund, warum viele Menschen nach normierten Jobs suchen und unzufrieden sind? Was wäre, wenn eine Gesellschaft individueller Lebensunternehmer realistisch und erstrebenswert ist?
Das wäre Wasser auf die Mühlen der Liberalen. (Liberales Manifest) Im falschen Leben gibt es kein richtiges. Vielleicht sollten wir dem Wasser einmal freien Lauf lassen statt es unter hohen Energieverlusten permanent den Berg hinauf zu pumpen.