Herrschaft begrenzen und minimalinvasiv handeln
Herrschaft begrenzen und minimalinvasiv handeln

Herrschaft begrenzen und minimalinvasiv handeln

Liberale werden für ihre Staatskritik selbst kritisiert. Entrüstung ob der Staatsferne äußert sich in Begriffen wie Nachtwächterstaat, Marktfundamentalismus und Manchesterkapitalismus sowie laissez-faire. Man könne den Dingen, den Menschen nicht einfach seinen Lauf lassen, eine sauber ordnende Kraft sei notwendig. Auch Vorwürfe werden erhoben wie: das sei ja libertär oder fast anarchistisch – offenbar in der Annahme, es handele sich dabei um etwas Schlechtes. Die Angst vor dem Ungewissen, das Wissen um eine Adresse, an die man sich wenden kann, die Imagination, Politiker und Menschen in Amtsstuben würden sich um das eigene Wohl und das der Mitmenschen bestmöglich kümmern, wären also die erste Adresse, an die man sich wenden sollte, schwingt dort genauso mit wie die Sehnsucht nach Sicherheit, für die der Staat zuständig sein soll. Letzteres gilt im Übrigen selbst für Liberale. Nur Anarchokapitalisten und Anarchisten bieten ein nicht-etatistisches Angebot (lesenswert Christian Hoffmann: Der Wunsch nach Sicherheit als politische Verlockung).

Unbehagen sollte sich in diese „etatistophile“ und „anarchophobe“ Haltung einschleichen, wenn der Staat unerwünschte Resultate erzielt. Allerdings ist das regelmäßig dann nicht der Fall, wenn die Folgen lediglich andere treffen. Misslungener Auslandseinsatz – betrifft die Masse der Menschen nicht. Verschwendete Milliarden für gescheiterte Projekte wie sie jährlich durch den Bund der Steuerzahler und den Bundesrechnungshof kritisiert werden – kann man unter „nicht zu ändern“ abtun. Der Puls erhöht sich bei Gerechtigkeitsfragen und Missständen. 40 Jahre berufstätig und unter 1.200 Euro Rente bei drastisch gestiegenen Strompreisen – die Gemengelage erscheint indes zu uneindeutig für konsequente Staatskritik, zumal die Rettung gerade vom Staat durch Zuleitung von Steuergeldern kommen soll.

Ein Blick in die Geschichte kann uns eines Besseren belehren. Die „Banalität des Bösen“ (Hannah Arendt) könnte in all ihren Schattierungen von hellgrau bis tiefschwarz zu einem Erscheinungsbild staatlichen Handelns werden. Verheerende Kriege. Religiöse und anderen Ideologien folgende massenhafte Gräueltaten. Verfolgung, Unterdrückung, Freiheitsberaubung Andersdenkender. Enteignung. Unverhältnismäßige Besteuerung. Tausendfacher Zwang, Dinge zu tun und zu lassen, die vor allem Partikularinteressen oder auch mehrheitlichen Vorstellungen entsprechen und zu Gesetzen und Verordnungen werden.

Die unbestrittene Tatsache, dass es auch andere Farben gibt, ändert nichts an der existierenden etatistischen Monströsität. Der Hinweis, es habe sich im konkreten Fall (Eichmann) um ein Phänomen des Faschismus gehandelt, um einen Nazi, aussagekräftiger um einen Nationalsozialisten, erscheint Liberalen als durchsichtiges Ablenkungsmanöver. Die Macht von Menschen über Menschen ist in einem Gewaltmonopol maximal konzentriert und lädt zum Machtmissbrauch ein. Sie zieht Machtmenschen an. Schreibtischtäter werden benötigt. Geradezu zeitlos erscheinen die Merkmale, die Hannah Arendt identifiziert hat: nicht selbst denken, an geltende Gesetze halten, klischeehafte Phrasen verwenden, hinter der Behördensprache verstecken, im Einklang mit der Mehrheitsmeinung handeln. Die Banalität des Bösen hat etwas vom selbstverständlich Schlechten.

Solange die Wahrnehmung dominiert, es gehe alles rechtsstaatlich zu, man seine Schäfchen im Trockenen hat, von staatlicher Fürsorge profitiert, scheint die Welt in Ordnung. Schönwetterphasen sind schön. Ein Gemeinwesen brauchte in Schönwetterphasen vermutlich sogar für Verfechter eines Vater Staats, eines Nanny-States kaum staatliches Handeln. Liberale wissen indes, dass die Staatsfrage insbesondere eine des schlechten Wetters ist. Dann kommt es darauf an. Und erst wenn dunkle Wolken den Himmel bedecken beginnen auch nicht-liberale Menschen die Bedrohung wahrzunehmen. Plötzlich wird staatliches Handeln zur Belastung, gar zur Bedrohung. Vorher war das nur liberales Gerede.

Plötzlich wird sichtbar, dass es keine Grundlage für die Beschränkung von Grundrechten gibt, die Datenbasis Schrott ist, zwischen Absicht und Wirkung eine Lücke klafft, die Maßnahmen eine Gruppe begünstigen soll, die Alten, Kranken, Ängstlichen, und andere schädigt, die Jungen, Gesunden, die Kinder, Schüler, die Masse der Bürger, die hochgerüstete Polizei immer wieder völlig unverhältnismäßig handelt. Was eine Systemeigenschaft ist, wird mit Erstaunen und Empörung zur Kenntnis genommen: die Debatte über eine Impfpflicht ist längst von der Realität überholt worden, die Dritt-, Viert-, Fünftimpfung wirkt nur wenige Wochen und verhindert keine Übertragung. Währenddessen sind die Regelungen immer komplexer, in den konkreten Anwendungsfällen geradezu irrsinnig geworden, zugleich weithin nutzlos, dafür aber schädlich. Apropos, die massiven Schäden der Politik werden kaum thematisiert, geschweige denn untersucht. Abweichende Meinungen werden wahlweise als rechts bezeichnet, was auch immer das Wort heute noch bedeuten soll, oder sie sollen von Querdenkern und Aluhutträgern sowie Verschwörungstheoretikern stammen und seien unverantwortlich, während Kompilationen führender Politikeraussagen, etwa über eine Impfpflicht, diese als notorische Lügner erscheinen lassen.

Lord Acton wusste: Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut.

Reinhard Sprenger erkannte früh den „Lenkungstotalitarismus“ der Achse Berlin-Brüssel.

Wolfgang Sofsky brachte es auf den Punkt: Der Staat ist eine Einrichtung zur Beherrschung der Bürger.

Benjamin Constant konstatierte, jede unnötige Steuer bedeutet einen Angriff auf das Privateigentum, der umso widerwärtiger ist, als er mit der ganzen Feierlichkeit des Gesetzes geführt wird, und umso empörender, als er mit allen Mitteln gerüstet Staatsmacht gegen den wehrlosen Einzelnen vorgeht.

Und Jimi Hendrix lieferte die Hoffnung, die für außen und innen gilt: „Wenn die Macht der Liebe die Liebe zur Macht überwindet – erst dann wird es Frieden geben.“

Vor diesem Hintergrund fragen Liberale nicht: Wer soll herrschen? Das ist die Frage der Demokratie und von Wahlen. Liberale fragen: Wie kann Herrschaft wirksam beschränkt werden. Das gilt für jede Wetterlage.

Liberale verfolgen eine doppelte Strategie:

Erstens soll das Machtmonopol so klein wie irgend möglich, d.h. Zuständigkeiten und Kompetenzen sollen minimal, das Eingreifen soll selbst und in seinen Folgen minimalinvasiv sein. Zweitens werden wirksame Checks und Balances angestrebt, darunter eine echte Gewaltenteilung, zudem der unblutige Austausch der Staatsführung und die Herrschaft des Rechts, dem sich gerade die Angehörigen des Staates unterwerfen müssen.

Liberale wissen, dass diese Lösung problembehaftet ist. Die von den Bürgern beauftragten Vertreter sollen nicht ihre persönlichen Interessen vertreten, sondern die Ordnung für alle gleich sichern. Sie verfolgen jedoch ihre eigenen Interessen und verfügen über eine herausragende Machtposition, die sie gegen die oder einige Bürger wenden können. Das Ideal des schützenden Staates ist für Liberale daher maximal der Minimalstaat.

Wie kann das erreicht werden? In philosophischer Hinsicht lassen sich an dieser Stelle zwei Positionen verkörpert von zwei Personen hervorheben:

Der amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger James Buchanan steht für die Verfassungsposition. Gegenstand des Konstitutionalismus ist eine Verfassung, die die Staatsführung beschränkt, die Gewalten teilt, die Herrschenden dem allgemeinen Recht unterwirft. Nach diesem Narrativ können sich alle Bürger auf den Staatszwang einigen, der auch als Gesellschaftsvertrag bezeichnet wird.

Die konstitutionellen Bemühungen werden natürlich im Verlauf der Geschichte regelmäßig ausgehöhlt und scheitern schlussendlich.

Der ungarisch-stämmige Ökonom und Philosoph Anthony de Jasay schlägt eine fundamentale Skepsis vor. Demnach ist eine Regierung grundsätzlich illegitim, weil es lediglich eine Fiktion ist, dass alle Bürger dem Zwang zustimmen. Dementsprechend gibt sich eine Regierung unter anderem mit einer Verfassung lediglich einen legitimatorischen Schutz. Aufgrund der empirischen Tatsache, dass Regierungen durchweg existieren, sei es insofern besser diese zwar zu akzeptieren, sie aber nicht als legitim anzuerkennen und ihnen mit einer konsequenten Skepsis zu begegnen.

Das scheint eine Entwicklung zu sein, die mehr Menschen so sehen als noch vor einigen Jahren, zumindest gilt das derzeit unter dem Eindruck der herrschenden Politik.

Wie auch immer man zu diesen und anderen Staatsperspektiven steht, es lohnt sich nicht erst in Krisenzeiten reflektierter mit der liberalen Staatskritik umzugehen. Der Minimalstaat schützt das Privateigentum und die Privatheit. Dafür werden einheitliche Regeln durchgesetzt, die die Freiheit schützen und Kooperation stärken. Der Minimalstaat dient dem Schutz der „Privatrechtsgesellschaft“ (Franz Böhm, deutscher Ökonom, Jurist und Politiker).