Jenseits des Staates
Jenseits des Staates

Jenseits des Staates

Jenseits des Staates

Es gibt eine Sphäre jenseits des Staates, im Staat, vor dem Staat und nach dem Staat.

Diese Sphäre wird als spontane Ordnung beschrieben und analysiert (F. A. Hayek), mit der Metapher der unsichtbaren Hand bezeichnet (A. Smith) und wissenschaftlich z.B. als „positive political economy of anarchism“ untersucht (Boettke). Diese Sphäre ist sehr reichhaltig, viel reichhaltiger als Menschen üblicherweise annehmen, und sie ist sehr alltäglich. Gemeint sind Verhaltensweisen, Konventionen, Institutionen, die ökonomischen und sozialen Austausch ermöglichen, ohne dass der Staat tätig wird. Mit anderen Worten handelt es sich um endogene Regeln der Bürgergesellschaft (Boettke, McCloskey). Die staatlichen sind demgegenüber exogene Regeln. „Du sollst nicht stehlen!“, „Wie Du mir so ich Dir“, „Behandele Deine Mitmenschen, wie Du selbst behandelt werden möchtest“, „der ehrbare Kaufmann“, „Verträge sind einzuhalten“ u.v.m. gehören dazu.

Von Deirdre McCloskey lernen wir, dass die Veränderung der Regeln seit dem Ausgang des Mittelalters eine Wertschätzung unternehmerischer Tätigkeiten einschließlich deren Scheitern die einzigartige Wohlstandsrevolution hervorgebracht hat, die unter dem Namen Industrielle Revolution bekannt geworden ist. Von Friedrich August von Hayek lernen wir, dass für den Austausch von Menschen außerhalb ihres begrenzten Horizontes am Wohnort mit zunächst anonymen Mitmenschen andere Regeln erforderlich sind als in einer kleinen Gemeinschaft oder einem Stamm. Wokeness und Racism sowie Generderismus ignorieren dies und fordern identitäre Regeln, selbst im Filmgeschäft, was sich als Rückfall hinter die Aufklärung begreifen lässt (Adam Martin).

Die endogenen Regeln entstehen vorwiegend spontan und das dezentral. Die exogenen Regeln werden vom Machtmonopolisten Staat zentral gesetzt und zuvor von Interessen- und Machtkonstellationen ausgehandelt. Der Staat, die Regierung, die Parteien sind auch deshalb attraktiv für Machtmenschen, weil hier über das angeordnete Verhalten von 80 Millionen Menschen in Deutschland entschieden werden kann. Politik besteht im Ringen darum, auch mit intellektueller Öffentlichkeitsarbeit.

Das kann nun ein Ende finden.

Zumindest in der herkömmlichen Form.

Warum? Wir leben in einem postliberalen Zeitalter und es ist keine realistische Chance erkennbar, wie im eingeengten politischen Diskurs liberale Reformen möglich werden sollen. Nennenswerte Reformen gibt es in Deutschland seit Jahrzehnten nicht oder kaum mehr, dafür umso mehr Problemverschleppungen, wirtschaftlich und sozial. Öffentlichkeitsarbeit wird daran nichts ändern.

Diese Situation hat Titus Gebel, Unternehmer und Publizist, zum Anlass genommen und plädiert für einen grundsätzlich anderen Ansatz „Der einzige Ausweg: Parallelstrukturen schaffen“, veröffentlicht in Der Sandwirt. Seine Argumentation lässt sich so zusammenfassen:

  • Der Kampf um die politische Vorherrschaft in Deutschland wurde von den Linken gewonnen.
  • Aus liberaler Sicht wurden dabei wesentliche Institutionen zerstört, irreparabel zerstört.
  • Die deutsche Bevölkerung ist mit diesem Zustand zufrieden, findet sich damit ab.
  • Es ist zwecklos sich für einen Wandel dieser Zustände einzusetzen.
  • Die Politik wird scheitern und schmerzhafte Folgen für die Bürger haben, aber auch dann keine substantiellen Veränderungen nach sich ziehen.
  • Für Menschen, die Freiheit mögen, bleibt eine Alternative: der Aufbau von Parallelstrukturen.

Titus Gebel zeigt anschließend wie viele Alternativen bereits existieren – von neuen Medien über das Potenzial in der Kultur, in der privaten Bildung, mit Parallelwährungen und Projekten wie Privatstädten. Da letztere als Großprojekte vom Wohl und Wehe von Regierungen abhängig bleiben, bleibt noch die Alternative der „Bürgergenossenschaften“, deren Zweck und Tätigkeiten er zum Abschluss seines lesenswerten Beitrags skizziert.

Ich finde den Ansatz erhellend und hilfreich.

Mein erster Anknüpfungspunkt ist ein eigener Vorschlag, den ich als Gilden der Gemeinschaftshilfe in meinem Abschlussbeitrag der Kolumne Attack Titans angedeutet habe. Zudem inspirieren Genossenschaften und Volks- bzw. Raiffeisenbanken als Erfolgsmodelle privater Hilfe noch heute. Sie haben Not gelindert, Anstrengungen belohnt und Unabhängigkeit in einer Gemeinschaft befördert (Lesenswert ist hierzu: Max Wirth: Die Hebung der arbeitenden Klassen durch Genossenschaften und Volksbanken. Eine Anleitung zur Gründung von Genossenschaften aller Art, hg. v. Max Otte, Erstauflage 1865, Neuauflage Finanzbuchverlag München 2013, 115 S.).

Zu meinen reflektierten Biases für Parallelstrukturen gehört eine ähnliche Erfahrung. Ich habe 2005 systematisch begonnen, insbesondere wirtschaftspolitische Unzulänglichkeiten öffentlich zu thematisieren. Aus liberaler Perspektive hat sich seitdem die Lage zunehmend verschlechtert, insbesondere seit der Finanzkrise und noch einmal mit der Corona-Krise. Ich halte es für wenig wahrscheinlich, dass ökonomische Gesetze dauerhaft missachtet werden können und gehe nicht von einer linearen Fortschreibung der sozialen und ökonomischen Verhältnisse aus.

Umso hilfreicher erscheint es, seine Energie und Zeit nicht in die politische Großwetterlage zu stecken, die wir weder beeinflussen können, schon gar nicht bei Wahlen, noch betrifft uns das große Spektakel in dem Maße wie darüber berichtet wird. Der Primat der Politik bleibt anderen überlassen. Die konkrete Verbesserung der Lebensbedingungen im eigenen Umfeld ist eine schöne Aufgabe. Unter den illiberalen Verhältnissen muss man hier so oder so leben. Sollen andere Gendern, Woken, Klimanagst schüren, die staatliche Bildung kapern und in ihrem prekären Zustand belassen. Nur schade um das Geld.

Die kommunale und zugleich (digital) kosmopolitische Perspektive gleich gesonnener Menschen ist zudem vorteilhaft für kommende Krisen. Auch in anderer Hinsicht scheint sie mir passend für unsere Zeit zu sein. Die Entwicklung der Welt ist unter der geopolitischen Ebene sozial und ökonomisch durch Dezentralität geprägt. Bürgergenossenschaften fügen sich in diese dezentrale Welt ein und stärken sie.

Beispiel Bildung: Bisher dienen Zertifikate staatlicher und staatlich lizensierter Einrichtungen wie eine Marke. Bestimmte Anforderungen wurden erfüllt. Zugleich werden für bestimmte Positionen diese Zertifikate als Voraussetzung angesehen. Im IT-Bereich bröckelt das seit langem. Zeig mir was Du kannst, nicht welchen Abschluss Du hast, spielt zunehmend eine Rolle. Warum sollte das mit privater Bildung anders sein? Wenn Menschen eine höhere Bildung genossen haben, wie z.B. beim Scholarium in Wien, und sich im kleinen Kreis herumspricht, dass das kluge, reflektierte Menschen sind, die etwas könne und zu sagen haben, ist das mehr als mancher staatliche Abschluss. Eine neue Marke entsteht, vielleicht gerade mit dem : Nicht staatlich zugelassen.

Ich kann noch zwei Ergänzungen beisteuern: 1. Eine Ergänzung zu privaten Städten könnten freie Dörfer sein. 2. Stefan Blankertz hat „Fraktale Sezession“ in unserem Buch Die Vincent-Sessions thematisiert – den sukzessiven Ausstieg aus minderen Staatsleistungen durch deren transparentes Bepreisen als ersten Schritt mit privaten Alternativen als Teil des weiteren Weges.

Investieren in die eigene Lebensumgebung ergibt viel Sinn und ist konstruktiv. Bürgergenossenschaften bringen Gleichgesonnene zusammen.