Bürgerliche Freiheit bereichert die Welt
Bürgerliche Freiheit bereichert die Welt

Bürgerliche Freiheit bereichert die Welt

Bürgerliche Freiheit bereichert die Welt

Wenn es nur einen Grund gibt, weshalb die Menschheit der Jahrtausende währenden Stagnation entkam und erst seit der Industriellen Revolution eine exponentielle Wohlstandsentwicklung erlebt, dann ist das die bürgerliche Freiheit.

Diese Auffassung vertritt Deirdre McCloskey, eine einzigartige Persönlichkeit mit ihrem besonders vielseitigen Werk über die bürgerliche Ethik. Die Professorin für Ökonomie und Literatur zeigt in facettenreichen Untersuchungen auf, dass der „Wandel der Ethik und Rhetorik und Ideologie“ (S. 86) den Unterschied machte, den Abschied von autoritär verfassten, hierarchischen Gesellschaften bedeutete, die Wertschätzung des Nutzen stiftenden wirtschaftlichen Handelns hervorbrachte. In autoritären Regimen herrschen regelmäßig üble sozioökonomische Bedingungen. Das war Jahrtausende der Fall und trifft auch heute fast durchweg zu, besonders für die Armen.

Das vorliegende Buch zur Freiheit von Deirdre McCloskey, unterstützt von Art Carden, „Leave Me Alone and I’ll Make Your Rich: How the Bourgeois Deal Enriched the World” gibt auf knapp 200 Seiten eine pointierte Skizze ihrer Trilogie zu Bourgeois Virtue (2006), Ethics (2010) und Equality (2016). Die Grundlage bilden umfang- und detailreiche, soziale, ökonomische, literarische und kulturelle sowie ethische Untersuchungen.

4 R

Deirdre McCloskey diagnostiziert und dokumentiert einen Wandel vom autoritären zum liberalen Denken zwischen 1517 und 1789. Sie zeigt 4 R als Merkmale der Transformation auf (S. 94f.)., von ihr als glückliche Zufälle bezeichnet: Reading spread, Reformation, Revolt, Revolution. Neue Ideen konnten durch die Druckerpresse und verbreitetes Lesen Raum gewinnen, Zensurmöglichkeiten schwanden. Die Reformation, befördert durch das Lesen, minderte den herrschaftlichen Einfluss der katholischen Kirche. Die Revolte in Holland gegen Spanien von 1568 bis 1648 und die Revolutionen in England 1640 und 1689, in den USA 1776, in Frankeich 1789 stürzten alte Eliten und verhalfen radikalenneuen Ideen zum Durchbruch. Die materiellen Folgen spüren wir bis heute. Seit Menschheitsbeginn bis zum Jahr 1800 lag der Konsum eines Menschen auf der Erde pro Tag im Durchschnitt bei 3 US-Dollar, mit Schwankungen wie im Römischen Reich mit bis zu 6 US-Dollar und danach einem Fall unter 3 Dollar. Erst nach 1800 ist ein rasanter Anstieg auf global 33 US-Dollar und in den USA beispielsweise auf 130 US-Dollar erfolgt.

Anderes Denken

Herkömmliche Erklärungen hält Deirdre McCloskey für wichtig, aber nicht ausreichend und nicht für letztbegründend, darunter die Industrielle Revolution, Erfindungen, Institutionen und die Institutionelle Revolution, Ressourcen und Eisenbahn, erst Recht nicht Imperialismus und Sklaverei. Liberale wüssten, dass „die Zukunft von unvorhersehbaren Ideen freier Menschen“ (S. 106) abhänge. Die Menschen hätten allmählich aufgehört, den Reichtum eines Mannes oder die Armut einer Frau dem Schicksal oder der Politik oder der Zauberei zuzuschreiben. Die „Free Market Machine“ (William Baumol), das „imaginarium“ (Edmund Phelps), also der Bourgeois Deal machen den Unterschied aus. Kooperation statt Zwang, Markt statt Herrschaft, die unsichtbare Hand der Vielen statt der sichtbaren der kleinen Herrschaftselite – das sind für sie Ausdruck des ethischen Wandels, der verwandelten Denkens.

1 Ursache

Das mutet bei aller Vielseitigkeit durchaus einseitig an. Nur ein Grund? Ethik. Werden von einer Professorin, Bedeutung und Wirkung von Ideen überschätzt? Vielleicht. Ein Ansatzpunkt ist, der in diesem Buch nicht schlüssig aufgezeigte Zusammenhang zwischen verändertem Denken und veränderter Realität. Die Hypothese des anderen Denkens wird vielfach und feingliederig belegt, weniger indes der kausale Nexus zur veränderten Welt. Zugleich habe ich während und nach der Lektüre den Eindruck gewonnen: So geht die liberale Weltanschauung auf. Liberalismus ist Innovationismus. Wenn nur ein Grund, eine prägnante Formel, dann Freiheit als Inbegriff bürgerlicher Ethik.

Bürger > Staat

Deirdre McCloskey plädiert dafür, Ethik, nicht Gesetze, als fundamental und als Grundlage unserer Gesellschaft anzusehen. Man betrüge nicht, weil es Gesetze gebe, sondern, weil es sich nicht gehöre. Demnach sind die Narrative, die uns spätestens in der Schule eingebläut werden, falsch und kontraproduktiv. Rechtmäßiges Verhalten entsteht nicht durch Gesetze, Ordnung nicht durch den Staat und dessen Bürokratie. Diese Denk- und Glaubensrichtung führt uns vielmehr zur Unterwerfung unter fremde Menschen.

Derartige Denk- und Ordnungsalternativen sind und waren die bedrückenden Alternativen zu einer freien Gesellschaft auf der Grundlage bürgerlicher Ethik. Deirdre McCloskey arbeitet vier Typen heraus, die 4 B: Blue-Blood, Bolschewismus, Bismarckism, Bureaucracy (S. 138-141), kurz erläutert in meiner Kolumne.

Jahrhundertaufgabe

Leave me alone and I’ll make you rich” ist ein sprudelnden Ideenfundgrube, fundiert, anregend, Fragen und Widerspruch provozierend, durchweg quer zur herrschenden Ideologie.

Unsere Aufgabe sollte es demnach sein, den sozialen Konsens zu verändern – hin zu gegenseitiger Bereicherung, Aushalten von Unterschieden, Unternehmertum, Ehrlichkeit, Leistung, Selbstverantwortung. Im Grunde geht es um das Zurückrollen der gezielt zersetzten bürgerlichen Ethik und der darauf beruhenden offenen Gesellschaft. Wir leben längst nicht mehr in einer liberalen Gesellschaft. Die Folgen lassen sich überall besichtigen. Wer sich mit der bürgerlichen Ethik, Würde und Gleichheit befasst, der kann sich das seit Jahren praktizierte Zurückdrehen der Zeit in wieder autoritative, mitunter autoritäre Praktiken nicht wünschen.

Deirdre Nansen McCloskey, Art Carden: Leave me alone an I’ll make you rich. How the Bourgeois Deal Enriched the World, The University of Chicago Press, Chicago, London 2020, 227 S., 19,26 Euro.