Kooperation statt Weisung
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Kooperation statt Weisung

Über den fundamentalen Unterschied zwischen Marktwirtschaft und Bürokratie

Denkanstoß – als pdf: FFG_Working-Paper_231120_Koordination statt Anordnung

Vorbemerkung: Markt und Staat sind nicht austauschbar. Es besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen der Koordination der Aktivitäten in einer Marktwirtschaft einerseits – ähnlich wie in einer offenen Gesellschaft dezentral und emergent, und andererseits der Weisung zur Aufgabenerledigung in Organisationen, vor allem Behörden, aber auch Unternehmen. Bei Diskussionen über Reformen und Modernisierung, bei politischen Absichtserklärungen und Kritik an Missständen darf dieser Unterschied stärker berücksichtigt werden. Das gilt auch für die Rolle des Staates, dessen Potenziale und Limitierungen als Innovator, Koordinator und vielfacher Entscheider. Das vorliegende Papier möchte dieser Ordnungs- und Systemthematik wieder in Erinnerung rufen.

Staat ist nicht Markt – der Tausch macht den Unterschied

Der Unterschied zwischen Staat und privat, zwischen Bürokratie und Markt ist nicht trivial, sondern essentiell. In den Diskussionen und Perspektiven auf aktuelle ökonomische und gesellschaftliche Probleme sowie staatliches Handeln darf das stärker und grundsätzlicher berücksichtigt werden.

Die beiden Sphären – Markt und Gesellschaft als spontane Ordnungen des Austauschs sowie Staat respektive Bürokratie als hierarchische Organisationen des Anordnens – unterscheiden sich grundlegend. Das liegt in der Natur der beiden Phänomene. Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Das bedingungslose Grundeinkommen wird als Errungenschaft gepriesen, weil es (vermeintlich) voraussetzungslos eine materielle Existenz garantiert. Verwandt ist damit die Forderung, man müsse von seiner Arbeit leben können. Betrachten wir die fundamentalen Unterschiede zwischen Tausch und Anordnung ohne diese zu bewerten:

Wer tauschen möchte, muss seinem Mitmenschen etwas bieten, das dessen Leben verbessert. Wer tauscht, dient seinen Mitmenschen. Wer etwas bedingungslos bekommt, der ist einseitiger Empfänger einer Leistung, die jemand anderes erbracht und im Falle staatlicher Transfers dem Empfänger zugesprochen wird und von einem Dritten stammt. Ein Rechtsanspruch auf diese Leistung verdeckt wahrscheinlich, dass die Leistung zunächst erwirtschaftet werden muss und der Transfer einen freiwilligen Tausch verdrängt, z.B. arbeiten im Servicebereich eines Restaurants gegen Bezahlung. Die Anreize für Leistungserbringer und Transferempfänger sowie für Bürokraten und Politiker sollen hier nicht thematisiert werden. Erwähnen möchte ich stattdessen zweierlei:

Erstens Opportunitätskosten[1] i.w.S., das ist der entgangene Nutzen einer nicht realisierten Alternative. Dem potenziellen Arbeitgeber des nicht arbeitenden Transferempfängers entgeht beim bedingungslosen Grundeinkommen ein Angestellter, noch dazu durch die Verknappung des Arbeitsangebots eine preiswerte Anstellungsalternative. Außerdem fehlt ihm absehbar etwas Kapital aufgrund steigender Löhne, Steuern und Abgaben sowie Bürokratiekosten. Dem potenziellen Arbeitnehmer entgeht eine berufliche Tätigkeit, ein möglicher Weiterbildungs- und Karriereschritt im Gastronomiebereich und der soziale Kontakt im beruflichen Alltag. Dem Kunden entgeht die Serviceleistung.

Zweitens die Auflösung des Rechnungszusammenhangs. Das ist mit Thomas Sowell[2] der Zusammenhang zwischen dem, was Menschen produzieren und was sie konsumieren. Wird der Rechnungszusammenhang aufgelöst, können Menschen denken, Geld und Güter seien willkürliche Zuteilungen. Beim Beispiel bedingungsloses Grundeinkommen sind die Paare Leistung und Kosten sowie Einnahmen und Ausgaben getrennt, weil Steuern nicht mit einer direkten, vorab bestimmten Leistung verbunden sind und Transfers einseitig aus Gesetzen und Vorschriften leistungslos resultieren. Den Bürgern wird die Illusion des „Free Lunch“ vermittelt, die durch Anspruchsdenken verfestigt werden kann. Die Forderung einer bedingungslosen Leistung wird an eine höhere, unsichtbare Stelle gerichtet, den Staat als irdischen Gott (Ludwig Siep).

Menschen können ihre Forderungen nach Leistungslosigkeit überdenken, sobald es alltagspraktisch wird und sie mehr als nur den offensichtlichen ersten Effekt betrachten. Ein Beispiel: In einer Diskussion forderte eine Frau, der Bäcker müsse für seine Backwaren so viel Geld bekommen, dass er genug zum Leben habe. Das müsse mit Mindestpreisen angeordnet werden. Auf die Frage, warum die Frau nicht mit gutem Beispiel vorangehe und für ihre Brote das Doppelte bezahle, stutzte sie und fing sichtbar an nachzudenken.

Der bedeutende Ökonom Frank Knight[3] bemerkte einmal über ökonomische Prinzipien, dass diese schlichtweg allgemeinere Folgen des einen Prinzips von Freiheit, Individuum und Sozialem seien, der freien Zusammenkunft. Knight meinte damit den Tausch als Grundlage jeder sozialen Ordnung. Und man könne nicht oft genug betonen: Tausch sei freiwillig und beidseitig vorteilhaft. Wenn beide Seiten nicht von der Interaktion profitieren würden, wäre es kein Tausch, weil sie ihn nicht freiwillig eingegangen wären und ihm zugestimmt hätten. Der Tausch lasse die Arbeitsteilung wachsen. Der Tausch gebe Orientierung für Produktionspläne und befriedige Verbraucherwünsche. Gegenstand von Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft sei letztendlich die Tauschbeziehung frei wählender Individuen, die ihren Tausch innerhalb von Institutionen vollziehen.

Wer heute Akademiker und gebildete Bürger fragen würden, was damit gemeint ist, welche Antworten würde man wohl bekommen?

Seit Jahren scheint aus dem Blick geraten zu sein, dass der Tausch ökonomisch und sozial etwas zutiefst Wertvolles darstellt. Viele Menschen fordern in der vielfach abstrakten politischen Sphäre die Tauschfreiheit anderer einzuschränken, teils massiv. Der Staat soll mit seinen Behörden tätig werden und mindestens einen Tauschpartner anweisen, sich anders zu verhalten – ökologischer, sozialer, preiswerter, genderorientierter, Sonderkonditionen einräumend für Mieter und Angestellte. Ladenschluss und am Sonntag grundsätzlich geschlossene Geschäfte sind weitere Beispiel, die längst zahlenmäßig unüberschaubar geworden sind. Indes, mit welchem Recht wird denjenigen, die Produkte anbieten, denjenigen, die Produkte nachfragen, denjenigen, die Arbeitsplätze anbieten, denjenigen die gerne arbeiten möchten, die Entscheidung abgenommen – noch dazu von jemandem, der mit all dem nichts zu tun hat und sich das Recht herausnimmt über andere zu bestimmen?

Behörden ordnen an, etwas zu lassen und etwas zu tun. Das dürfte in Sicherheitsbelangen nützlich und richtig sein, etwa bei der Statik von Gebäuden und beim Brandschutz. In einer Zeit, die weitaus komplexer ist als noch vor 50 und 100 Jahren, lässt sich argumentieren, dass es mehr Aufgaben gibt, die von staatlichen Einrichtungen geklärt und geregelt werden.

Unabhängig davon wie man zur Regulierung und deren aktuellem Ausmaß steht, lohnt es sich die Unterschiede zwischen Tausch und Anordnung zu vergegenwärtigen.

Spontane Ordnung

Markt und Gesellschaft lassen sich als spontane Ordnungen begreifen. Das bedeutet:

  1. Es gibt weder ein Ziel noch einen Plan, den die Menschen verfolgen, sondern viele Ziele und viele Pläne.
  2. Es gibt keinen Führer oder Entscheider, keine organisierte Hierarchie mit Zuständigkeiten und Weisungsbefugnissen, sondern vielmehr eine dezentrale oder non-zentrale Ordnung (Robert Nef), emergent entstanden durch sicht- und unsichtbare Hände.
  3. Es gibt vielgestaltige, unübersehbare komplexe Prozesse von Versuch und Irrtum, in denen Wissen erzeugt und verworfen wird. Die Summe ist mehr als die Teile. Die Koordination übernehmen in einer Marktwirtschaft Preise. Und sie sagen uns mit Friedrich August von Hayek, was wir zu tun haben, während wir vielfach etwas anderes geplant hatten.[4]

Wer Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaften auf einen Begriff und eine Herausforderung reduzieren möchte, der darf das Koordinationsproblem in den Mittelpunkt stellen. Später mehr dazu.

Der Tausch ist das Wesen der wirtschaftlichen Sphäre und Teil der gesellschaftlichen Sphäre, z.B. mit privatem, entgeltlosem Engagement in der Nachbarschaft, in Vereinen, Interessengemeinschaften sowie zusätzlich zur investierten Zeit und Arbeit auch monetär durch Spenden. Der amerikanische Publizist Henry Hazlitt schlug folgerichtig den Begriff „Cooperatism“[5] vor, auch anstelle von Kapitalismus und Liberalismus.

Bürokratische Organisation

Staat und Behörden lassen sich als bürokratische Organisationen begreifen. Das bedeutet, es gibt eine Aufgabe und eine Organisation zur Bewältigung dieser Aufgabe. Diese Organisation folgt einem erdachten, teils wohlüberlegten Plan. Gegebene Ressourcen werden verteilt, bekannte Aufgaben bearbeitet. Einen tiefen Einblick in das Wesen der Bürokratie bietet Ludwig von Mises mit seinem kleinen, lesenswerten Buch „Bürokratie“, geschrieben schon 1944.[6] Bürokratie, in der übersteigerten Form als Bürokratismus, ist die Herrschaft des Büros, der Verwaltung.

Innerhalb einer festen Hierarchie nehmen Bürokraten festgelegte Kompetenzen wahr. Idealerweise geschieht dies sachkundig, rational und rechtsgebunden, so dass die Vorschriften dem menschlichen Zusammenleben dienen und Vorschriften nicht über den Menschen und über Lösungen gestellt werden. Zugleich bedingt die Hierarchie, dass die Regeln und Maßnahmen die Ausführung des Willens der obersten Behörde nach sich ziehen: „Bürokratisch heißt die Art der Geschäftsführung, die sich an genaue Regeln und Vorschriften halten muss, welche wiederum von der Autorität einer übergeordneten Person festgelegt werden.“ konstatiert Mises und fährt fort: „Die Aufgabe des Bürokraten liegt in der Ausführung dessen, was diese Regeln und Vorschriften ihm auftragen. Seine Freiheit, nach eigener, bester Überzeugung zu handeln, wird durch sie bedeutend eingeschränkt.“[7]

Das Problem ist nicht die Bürokratie an sich, sondern ihre Ausdehnung und ihre Existenz in Lebensbereiche, in denen sie nichts zu suchen hat. Das sind die Grenzen der Wirksamkeit des Staates, die Wilhelm von Humboldt bereits im 18. Jahrhundert skizzierte. Die Bürokratie neigt dazu, sich auszuweiten und zu verfestigen (Wagnersches Gesetz der zunehmenden Staatstätigkeit). Durch den Primat der Regeln drohen zudem sachgerechte Lösungen und Menschen vernachlässigt zu werden. Mit dem Ökonomen und Sozialphilosophen Anthony de Jasay ist der Zweck des Staates (lediglich) der Staat selbst.[8]

Die Vermischung von bürokratischer Organisation und spontaner Ordnung lässt sich mit dem Ausspruch von Romancier Faith Baldwin illustrieren: „Die Zeit ist eine Schneiderin, die auf Änderungen spezialisiert ist.“ Was ist in diesem Zusammenhang damit gemeint? Behörden sind für die Bearbeitung klar abgegrenzter und überschaubarer Probleme konzipiert. Diese können kompliziert sein, aber nicht komplex und dynamisch. Spontane Ordnungen wie Wirtschaft und Gesellschaft sind komplex und dynamisch, d.h. nicht-linear, interdependent, emergent, mit vielen Feedbackschleifen. Das Wissen, dass zur Lösung von Problemen benötigt wird ist nicht einfach vorhanden und abrufbar, sondern entsteht erst in einem vielgestaltigen Prozess, der irrtumsanfällig ist, mit Versuch, Scheitern und neuem Versuch einhergeht. Top down Organisation ist nicht Bottum up Ordnung. Was passiert, wenn man die Gegensätze zu mischen versucht? Wie könnte der Staatsapparat nach dem Entdeckungsprinzip arbeiten? Wie kann eine auf Kontinuität aufgebaute Organisation mit Änderungen zurechtkommen?

Versagen und Verbessern

In Krisenzeiten tritt Versagen deutlicher hervor als in Zeiten von Wachstum und guter Stimmung. Der Vorwurf des Marktversagen steht unabhängig davon permanent im Raum und in Lehrbüchern. Das geht mit dem Anspruch einher, der Staat können durch sein Eingreifen Marktversagen heilen. Weitaus weniger ist vom Staatsversagen die Rede, zumindest nicht in denselben Lehrbüchern, wenn auch heute geradezu ubiquitär in Publizistik und in massenhaften Äußerungen von Bürgern, z.B. in sozialen Medien. Permanentes menschliches Versagen beim Tausch, während Menschen in Behörden nicht versagen? Da stimmt etwas nicht. Zugleich kommt der selbstverantwortliche, selbst entscheidende Bürger immer weniger vor. Es dominiert das Bild des betreuungsnotwendigen Verbrauchers. Schützenswert. Gefährdet. Unselbständig.[9] Was ist mit den Bürokraten und den Entscheidern in der Politik?

Während es in der Marktwirtschaft eine Abstimmung mit den Füßen gibt, für und gegen ein Produkt, ist das bei Behörden mangels Wettbewerb nicht möglich, bei Parteien nur bedingt und abhängig von substanziellen Alternativen. Politisches Handeln bleibt weitgehend feedbacklos. Die Bürger können in einer repräsentativen Demokratie den Entscheidern praktisch kein wirksames Feedback geben. Alle vier Jahre bei Wahlen seine Stimme abgeben, das entkoppelt den Zusammenhang von vielen einzelnen Entscheidungen. Zudem werden nur Stellvertreter gewählt und die verfolgen strukturell bedingt vielfach andere Interessen.[10] Schließlich sind Handeln und Haften politisch entkoppelt.

Feedbacklose Systeme funktionieren nicht selbstkorrigierend, sind anpassungsträge, vielfach nicht auf sachlich gebotene Lösungen ausgerichtet. Der Ökonom Fritz Söllner zeigt das in seinen ökonomischen Krisenanalysen „Krise als Mittel zur Macht“[11] anschaulich für die Große Rezession infolge der Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise sowie für Eurokrise, Flüchtlinge, Klima, Corona und Geldentwertung. Im Unterschied dazu ist eine Marktwirtschaft per se und permanent Feedback geprägt.

Der amerikanischen Ökonom Peter Boettke hat die Formel der 3 p mal 3 i entwickelt.[12] Die drei p, das sind prices, property, profit/loss, sorgen für die drei i, das sind information, incentives, innovation. Ohne die 3 p gibt es keine 3 i. Keine Marktpreise auf dem Immobiliensektor, keine oder zu wenige Wohnungen. Inflation sowie übermäßige Steuern und Abgaben zehren das Eigentum auf, dessen Verwendung nicht nur beim Vermieten vielfach beschränkt wird. Die Sozialisierung der Verluste erzeugt Zombieunternehmen. Die aktuelle Standortdebatte lässt sich mit den 3 p und 3 i bereichern. Wie ist es um die Innovationskraft und Produktivität in Deutschland bestellt? Wie soll der Staat, d.h. eine oder mehrere Behörden, Innovationen hervorbringen und marktreif bereitstellen? Anschlussfrage: Welche entsprechende Formel kennzeichnet den Staat?

Wer kann was wissen?

Das Wissensproblem spielt eine zentrale Rolle. Friedrich August von Hayek hatte in seiner Nobelpreisrede 1974 seine Ökonomen-Kollegen vor der Anmaßung von Wissen gewarnt. Zwischen 1937 und 1948 war den Anhängern der Österreichischen Schule der Ökonomik klar geworden wie grundsätzlich sich ihre Auffassungen unterscheiden, heute würde man sagen von denen der Neoklassiker und Keynesianer. So gleicht z.B. der Wettbewerb für Österreicher einem vielfältigen tastenden Versuch, der in Form eines Entwicklungs- und Entdeckungsverfahrens erst durch die Entscheidungen der Marktteilnehmer jene Informationen erzeugt, die wiederum Informationen und Impulse für den fortwährenden Wettbewerbsprozess liefern. Das Ergebnis ist kaum jemals ein vollständiges, sondern allenfalls ein temporäres Gleichgewicht, das ständig im Fluss ist, wie es Israel Kirzner formulierte.[13] Der Beitrag von Ludwig von Mises bestand u.a. in der Betrachtung des Unternehmers als Entrepreneur. Das dürfte heute zumindest massenmedial allenfalls noch bei gehypten Startups anklingen.

Das Wissensproblem ist wiederum unauflösbar mit Experten und Expertenversagen verknüpft. Roger Koppl, Ökonom an der Syracuse University in New York, hat das Experten-Versagen in einem anspruchsvollen Buch aufgearbeitet. Es ist unter dem Titel “Expert Failure” 2018 erschienen.[14] Er versteht unter Experten Menschen, die für ihre Meinung bezahlt werden. Die im Buch entwickelte ökonomische Theorie der Experten fügt die Ko-Evolution der Arbeitsteilung und Wissensteilung zusammen. Entscheidend ist, dass beide nicht geplant werden. Beide sind spontane Ordnungen. Wissen ist nicht hierarchisch, einheitlich, explizit und nachlesbar, sondern entsteht überwiegend bei praktischem Handeln, ist oft implizit und schwer greifbar, zudem gespeichert in unseren Normen, Gewohnheiten, Praktiken und Traditionen. Offenkundig ist der Unterschied zwischen Markt und Staat, zwischen Gesellschaft und Behörden (sowie Unternehmen) nicht trivial.

Experten sind mit einem Anspruch auf Gehorsam verbunden. Der Experte weiß es besser, am besten. Das ist indes eine seltene Ausnahme. Expertenversagen birgt aufgrund der Zentralisierung und Reichweite gravierende Risiken für Millionen Menschen in Wirtschaft und Gesellschaft. Expertenversagen ist zugleich häufig Staatsversagen.

Eine pluralistische Gesellschaft wird mit Eindeutigkeit und Weisungen unterminiert, Marktwirtschaft und Demokratie werden eingeschnürt durch einen Anordnungsstaat und die autoritative Beschränkung auf das Wissen weniger statt der Koordination des Wissens vieler. Die Marktwirtschaft korrigiert sich selbst durch relative Preisanpassungen. Wer korrigiert die Experten, Politiker, Behörden des Gewaltmonopols? Angesichts der dynamischen Komplexität sind nicht einzelne Expertenmeinungen gefordert, sondern vielmehr systemische Analysen, die u.a. Rückkopplungsgeflechte berücksichtigen, außerdem korrigierbare politische Entscheidungen mit rasch zurücknehmbaren Gesetzen und Verordnungen.[15]

Fazit und Ausblick: Bürokratie kann Marktleistungen nicht erbringen

Die Anordnung ist Teil einer geplanten, überschaubaren Organisation. Dazu gehört die auf Organisationen gerichtete Erwartung, jemand müsse endlich das Richtige anordnen und dann werde es genauso geschehen. Vielfach wird auf den obersten Boss geschaut. Wenn der wüsste … Wenn man den gewinne könnte … Wenn der richtig entscheiden würde … Die Sphäre der Anordnung ist die der Sicherheit, des gesicherten Einkommens, der überschaubaren Arbeitsabläufe, der zuordnenbaren, vielfach indes begrenzten Verantwortung, im schlechten Fall einer organisierten Verantwortungslosigkeit. Tausch, Unternehmertum, Neues wagen, Versuch, Irrtum, Scheitern und besser machen, Möglichkeiten entdecken und gezielt Nutzen stiften, Risiken kalkuliert eingehen und auf seine Fähigkeiten vertrauen sind nicht wesentliche Merkmale des Anordnungsapparates. Das ist auch nicht die Aufgabe. Hier liegt das Problem der Vermischung zweier grundlegend unterschiedlichen Sphären und Prinzipien. Mit Lord Acton liegen die Wurzeln von Institutionen und Recht nicht im Einfallsreichtum der Staatsmänner, sondern so weit wie möglich in der Ansicht der Bürger.

Es gibt eine Mischsphäre, die über die Dichotomie von Staat und Markt hinausgeht. Die Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom hat dazu Untersuchungen mit über 1.000 Feldstudien in unterschiedlichen Teilen der Welt angestellt. Der Clou ihrer Forschung: Öffentliche Dienstleistungen werden keineswegs per se am besten durch zentralisierte Systeme erbracht, sondern vielmehr im Wettbewerb verschiedener staatlicher und privater Anbieter, insbesondere wenn lokale Verwaltungen um die Bewohner konkurrieren. Lokale Gemeinschaften lösen viele vermeintlich unlösbare Probleme wie das der Allmende, insbesondere wenn es einen übergeordneten, staatlichen Rechtsrahmen gibt, aber der Staatsapparat nicht eingreift.

Die Kreativität der Menschen ist faszinierend, sei es beim Umgang mit knappem Wasser durch hunderte unterschiedliche Zugangsrechte, die sparsamer und nachhaltiger als eine gesamtstädtische Lösung sind, sei es die aktive Kooperation mit der Polizei durch Meldungen von Verdachtsfällen als gemeinschaftliches Eintreten für mehr Sicherheit, sei es das Verlosen von Fischereigründen und der tägliche Wechsel ins nächste, östlich gelegene Gebiet.

Die Zeit ist reif für viel mehr lokale Lösungen statt abstrakte Vorschriften. Das bedeutet Kooperation statt Anweisung, mehr Bürgerengagement, weniger Bürokratie, mehr Konzentration auf das gute Leben vor Ort statt auf weit entfernte Krisen.

Was heute viele Menschen beklagen, wenn sie über Missstände der Politik und Bürokratie und deren Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft sprechen, sind lediglich die Symptome eines tieferliegenden Defizits. Tatsächlich leiden die Bürger und Unternehmen in der hier dargelegten Perspektive unter dem unfreiwilligen Verlust ihrer Handlungs- und Kooperationsfreiheit.

Endnoten

[1] Eine aktuelle, gut lesbare und verständliche Einführung bietet: Caleb S. Fuller: No Free Lunch. Six Economic Lies You’ve been Taught and Probably Believe, Miblart.com o. O. 2021, 128 S.

[2] Zitiert nach Russell Roberts: Getting the Most Out of Life: The Concept of Opportunity Cost, in: Econlib Articles am 05.02.2007.

[3] Frank H. Knight: The Rôle of Principles in Economics and Politics, in: The American Economic Review 41 (1995) 1, 1-29.

[4] Friedrich August von Hayek: Der Strom der Güter und Leistungen (Beiträge zur Ordnungstheorie und Ordnungspolitik 101), Tübingen 1984.

[5] Henry Hazlitt publizierte 1964 „The Foundations of Morality“, eine Ethik des strikten Regel-Utilitarismus in Form einer integrierten Theorie aus Recht, Moral und Gewohnheiten, die er „ethics of cooperatism“ nennt.

[6] Ludwig von Mises: Bureaucracy, Yale University Press, New Haven 1944, deutsche Übersetzung unter dem Titel Bürokratie, Academia Verlag 2. Auflage Sankt Augustin 2004.

[7] Ebenda, 59.

[8] Anthony de Jasay: Der Staat, englische Erstauflage „The State“ 1985, übersetzt und hg. v. Hardy Bouillon (Hayek-Schriftenreihe zum Klassischen Liberalismus (HKL), Band 2), Berlin 2018.

[9] Johann Braun: Bürger und Verbraucher. Über den Wandel des Menschenbildes im Bereich des Politischen, Schriftenreihe der Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung Heft 5, München 2005.

[10] Wolfgang Sofsky: Macht und Stellvertretung, independently published, London, Leipzig, Wroclaw 2019.

[11] Fritz Söllner: Krise als Mittel zur Macht, Langen Müller Verlag, München 2022.

[12] Peter Boettke verwandte die Formel in einem Gespräch mit Russ Roberts auf Econtalk: On Austrian Economics in Econtalk, 10.12.2007. Link: https://www.econtalk.org/boettke-on-austrian-economics/

[13] Israel Kirzner: Entrepreneurial Discovery and the Competitive Market Process: An Austrian Approach, in: Journal of Economic Literature 35 (1997), 60-85.

[14] Roger Koppl: Expert Failure, Cambridge University Press, Cambridge 2018.

[15] Eine kurze Einführung in Systems Dynamics bietet Mike Yearworth: A Brief Introduction to System Dynamics Modelling, University of Bristol, 24 October 2014. Link: https://www.grounded.systems/wp-content/uploads/2015/02/SD-Introduction-MY-241014.pdf Siehe zudem bezogen auf die Coronapolitik: Johannes Bachmann, Michael von Prollius: Covid-19 und darüber hinaus Unsicherheiten mithilfe von Was-Wäre-Wenn-Szenariotechniken reduzieren, in: Wirtschaftliche Freiheit am 26.07.2020. Link: https://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=27568