Liberalismus und ökonomisches Denken
Liberalismus und ökonomisches Denken

Liberalismus und ökonomisches Denken

Die Art und Weise des ökonomischen Denkens unterscheidet sich von vielen Disziplinen. Wer Wirtschaft versteht, wer ökonomisch denken kann, hat sich auf ein höheres Niveau begeben.

Ökonomisches Denken ist im Kern nüchtern und systemisch, erfasst also nicht nur isolierte Aspekte, sondern auch Weiterungen bis zu komplexen dynamischen Systemen. Die Ähnlichkeiten zum Liberalismus springen ins Auge. Es gilt die Devise, wer nur Ökonom ist, ist kein guter. Das Etikett Wirtschaftsliberaler ergibt wenig Sinn. Liberal kann man nicht nur in einem vermeintlich isolierten Thema sein – Wirtschaft, Politik und Gesellschaft sind nur geistig, nicht real getrennte Gebiete des menschlichen Lebens. Menschliches Handeln findet nicht nur überall statt, sondern berührt regelmäßig alle drei hier aufgeführten Bereiche. Wirtschaftliches Handeln wirkt sich auf Politik und Gesellschaft aus und vice versa. Das gilt für Innovationen genauso wie für die Herstellung von Lebensmitteln und das Abwägen von Ausgaben für Bildung, Reisen und Immobilien respektive Infrastruktur.

Knappheit, Opportunitätskosten und menschliches Handeln sind wesentliche Aspekte, die Ökonomie und das Denken darüber auszeichnen. Das Wesen des modernen ökonomischen Denkens lässt sich mindestens bis zu Adam Smith zurückverfolgen und befasst sich mit menschlicher Rationalität, dem Menschen als soziales Wesen und der Koordination von Aktivitäten im Zeitablauf.

Erforderlich sind Institutionen, die produktive Spezialisierung und Arbeitsteilung ermöglichen mit beidseitigen oder bei mehr Parteien allseitigen Gewinnen als Resultat des (Aus)Tauschs sowie friedlicher sozialer Kooperation von weit entfernten, einander unbekannten Menschen.

Die Institutionen haben sich herausgebildet und sind von niemandem erfunden worden: Privateigentum, Preise sowie Profite und Verluste sorgen für Informationen, Innovationen und Anreize (etwas zu tun oder zu lassen). Das Preissystem leitet uns. Und oft signalisiert es uns, etwas anderes zu tun als wir eigentlich vorhatten. Preise koordinieren, bilden Rangfolgen aufgrund von Knappheit und Präferenzen, machen Alternativen und deren Kosten vergleichbar, signalisieren wie viel menschliches Handeln erforderlich sein wird, um das Ziel zu erreichen.

Dafür gibt es keinen Ersatz. Die Politik hat lediglich die Staatsbürokratie, die statt Preisen und Privateigentum sowie Gewinn- und Verlust-Zurechenbarkeit viele Vorschriften zur Koordination benutzt. Politik tendiert dazu, die Vorteile den gut organisierten und gut informierten Menschen zukommen zu lassen, während die Kosten der Allgemeinheit aufgebürdet werden. Märkte funktionieren gänzlich anders.

Steuern bedeuten, dass alle Menschen bezahlen müssen, auch wenn Sie die staatlichen Produkte nicht in Anspruch nehmen. Steuern werden ohne direkte Gegenleistung erhoben. In der Wirtschaft gilt: Nur wer das Gut nutzt, bezahlt auch. Das ist ein Unterschied zwischen ARD und Amazon prime. Mitnahmeeffekte (Free-rider), also andere für mein Gut bezahlen zu lassen, gibt es in der Politik, aber nicht in der Marktwirtschaft.

Koordinationsaufgabe

Wir leben in einer Welt der Knappheit. Knappheit impliziert Kosten-Nutzen-Abwägungen, Wahlentscheidungen, also Opportunitäten, die mit unterschiedlichen Kosten und Nutzen verbunden sind.

In einer ganzheitlichen Betrachtung besteht die Herausforderung darin, die vielfältigen Aktivitäten zu koordinieren. In der Marktwirtschaft erfolgt die Koordination auf wundersame Weise. Die Myriaden Entscheidungen, die einzelne Menschen nach individuellen Maßstäben treffen, werden gleichsam von einer unsichtbaren Hand geleitet und bilden eine spontane, flexible Ordnung. Preise erlauben uns ökonomisch zu kalkulieren – marktwirtschaftlich gebildete Preise, nicht staatlich verzerrte oder etikettierte. Politische Ökonomie verleiht als Denkweise die Fähigkeit auch die unschönen Handlungen und Ergebnisse einzuordnen, die diejenigen verursachen, die die Spielregeln zu manipulieren versuchen, die nach Privilegien streben, um andere dominieren zu können oder den Wettbewerb vermeiden wollen.

Russ Roberts erklärt in „The Price of Everything“, zudem in „The Invisible Heart“ und „The Choice“ das Wunder der Wirtschaft als soziales Netz. Zuvor hat das bereits Leonard Read in dem Aufsatz „I, pencil“ getan. Ich habe in „Die Pervertierung der Marktwirtschaft“ die Marktwirtschaft, die sich davon unterscheidende Soziale Marktwirtschaft sowie die Finanzkrise erläutert.

Ökonomische Infrastruktur

Die institutionelle Infrastruktur der Marktwirtschaft lässt sich mit den Prinzipien von Privateigentum, dessen Übertragung auf Grundlage beidseitiger Zustimmung und dem Halten von Versprechen begreifen. Diese institutionelle Infrastruktur kanalisiert die wirtschaftlichen Tätigkeiten in von Menschen gewünschte Resultate, d.h. Wohlergehen, Wohlfahrt, ein besseres Leben. Privateigentum, Preise, Profite und Verluste setzen die Anreize und Signale für die Allokation von Ressourcen über die Zeit und für die Rangfolge der am höchsten und geringer bewerteten Alternativen. Sie sorgen für kontinuierliches Feedback, ob die Allokationen (noch) die richtigen sind, und sie sorgen für Anreize und Informationen, die eine kontinuierliche Anpassung der Entscheidungen der Akteure in ihren Kalkulationen und Entscheidungen ermöglichen.

Märkte werden von externen Einflüssen und Schocks getroffen. Dazu gehört staatlich gewährte Monopolmacht, die unzureichende Bereitstellung von öffentlichen Gütern oder verstaatlichten Gütern wie Bildung, Rechtsprechung, Infrastruktur, ferner staatlich geschürte Wirtschaftskrisen, wie aktuell besonders drastisch beobachtbar, sowie Privilegien bedingte Ungleichheit.

Die ökonomische Kalkulation gilt für alle menschlichen Handlungen in der wirtschaftlichen Sphäre. Ein gleichwertiges Institutionenset wird in der Politik, der Bürokratie und im Nonprofit-Sektor bisher vergeblich gesucht. Wie beurteilen und kalkulieren Menschen dort ihre (marginalen) Kosten, ihren (marginalen) Nutzen, Opportunitäten in verschiedenen Kontexten über die Zeit?

Ökonomisch denken für ein besseres Leben

Die Ergebnisse des Siegeszugs von Marktwirtschaft und ökonomischem Denken sind wunderbar. Milliarden Menschen leben und überleben – entgegen der Prophezeiungen von Malthus und dem Club of Rome. Erst seit der (Früh-)Industrialisierung entkommen wir aus der Armut der Jahrtausende zuvor.

Wirtschaftliches Denken ist häufig kontraintuitiv. Hinlänglich bekannte Beispiele sind Mindestlöhne und politische Mietpreisfestsetzungen. Ökonomen sind in der Lage nicht nur die beabsichtigten unmittelbaren Folgen menschlichen Handelns, sondern auch die unbeabsichtigten Folgen zu erkennen, die auf Rückkopplungsgeflechten beruhen. Voraussetzung ist grundlegendes Nachdenken, das System 2 im Sinne Kahnemans aktivieren, systemisch durchdacht und nüchtern statt ad hoc und emotional zu reagieren.

Liberale kennen die ökonomischen Grundsätze und Gesetze; sie wissen, dass ökonomisches Denken nicht marktradikal ist, sondern das Einmaleins der Ökonomie anwendet. Das ist politisch regelmäßig unerwünscht.