Symbolpolitik
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Was ist Politik? Wie funktioniert Politik? Der amerikanische Politikwissenschaftler Murray Edelman (1919-2001) bietet mit Symbolpolitik, wie ich es verkürzt bezeichnen würde, eine bedenkenswerte Antwort.

Edelman ist bekannt für seine Arbeiten über die symbolische und subjektive Natur von Politik und den dahinterstehenden (verborgenen) realen politischen Praktiken. In „The Symbolic Uses of Politics“ entwickelt er eine politische Theorie, die als früher Konstruktivismus verstanden werden kann. Konstruktivismus bedeutet, dass Ideen und Kommunikation einen wesentlichen Anteil für das politische Handeln und für politische Handlungsmuster haben – im Unterschied zur Realpolitik. Symbolpolitik dient vor allem dazu, Aufmerksamkeit auf etwas zu lenken.

Thema des Buches ist das Verstehen alltäglicher Politik als Handeln, das entscheidend durch Symbole geprägt ist, die über Sprache vermittelt werden und die Menschen beeinflussen. Menschen, die von Regierungshandeln betroffen sind, werden über Nachrichten, die ständig politische Aufgeregtheiten präsentieren, in eine symbolische Sphäre gezogen, statt sich mit den weniger sichtbaren Interessen und Entscheidungen von Offiziellen und Eliten zu befassen. Mir scheint das heute über  soziale Medien und viele alternative Informationsquellen einerseits drastisch verstärkt zu werden, aber andererseits findet auch kontinuierliches Hinterfragen statt. Das löst wiederum moralische Abwertungsversuche aus mit Bezeichnungen wie Querdenker, Leugner, Skeptiker, Schwurbler. Desaströse Politik und ihre Folgen, darunter Coronapolitik, Immobilienpolitik, Geldpolitik, Migrationspolitik, Energiepolitik, wird von den etablierten Institutionen verteidigt und von neuen Institutionen attackiert.

In der Perspektive von Murray Edelman, die bereits 60 Jahre alt ist, wird Sprache zum dominanten Aspekt politischen Handelns und Manipulation letztlich zur Essenz von Politik. Edelmans Politikverständnis ist pessimistisch. Symbolpolitik diene dazu, großen Menschenmassen vorzugeben, was sie glauben müssen und sie zugleich ruhig zu stellen.

  • Mythen und Riten seien die Essenz eines politischen Symbolismus, der das alltägliche Politikgeschehen ausmache und erwünscht sei – von Medien, Regierungen, von den Massen.
  • Hinter dem Symbolismus werde das realpolitische Handeln verborgen, vielfach mit bewussten Inszenierungen und Ablenkungen.
  • Die Folge seien Stabilität, Gefolgschaft, Widerstandslosigkeit sowie das Umlenken von Kritik am institutionellen Gefüge und an realer Politik.
  • Zugleich werde ein Teil des Wesens der Menschen berührt, ein Wunsch der Massen bedient.
  • Politik ähnele immer wieder Religion und richte sich selten darauf, das sachlich Notwendige zu tun. Politik, die Auswirkungen auf den Lebensstandard habe, werde weitaus weniger betrachtet als die alltäglichen banalen, aufgeregten Rituale.
  • Bürokratie und andere politisch begründete Organisationen dienten nicht primär der Bearbeitung von Problemen, sondern würden 1. gebildet, weil das nützlich für die herrschenden Eliten seien, nicht aber für die Bevölkerung, 2. weil symbolisch (organisatorisch) ein Thema adressiert werde, 3. das Thema anschließend nahezu ausschließlich auf dem organisatorisch abgesteckten Feld behandelt werden könne.

Meinungsumfragen betrachtet Edelman mit großer Skepsis, Sie erfolgten, indem isolierte Individuen, herausgelöst aus ihrer konkreten Situation und aus ihrer Gruppe, auf abstrakte, künstliche Weise befragt werden.

Anders als herkömmliche Betrachtungen sieht Edelman Politik nicht als Mittel an, wie Menschen durch die Regierung das bekommen, was sie haben wollen. Vielmehr diene Symbolpolitik dazu, die Bürger zu beeinflussen, eine spezifische Sichtweise zu übernehmen und nach den Wünschen der Politiker und Eliten zu handeln.

Die Nähe zu dem viel später erschienen Buch „Macht und Stellvertretung“ von Wolfgang Sofsky ist augenfällig. Beide ergänzen sich.

Für Edelman ist Demokratie vor allem symbolisch geprägt, man könnte verkürzt sagen, dem Bürger durch immer wieder notwendigerweise nicht-öffentliche Handlungen entzogen.

Mit Arnold Kling lassen sich zwei politische Werkzeuge unterscheiden:

  1. Die symbolische Beruhigung bzw. Bestärkung der Bürger als unwissende Outsider mittels Ablenkung über politische Symbole bei gleichzeitiger Ausbeutung der Bürger, wobei (inszenierte) Dramen von den politischen Insidern genutzt werden. Dadurch wird die Aufmerksamkeit auf unterschiedliche Politikansichten von Parteien und das Ansehen ihrer Führer sowie (vermeintliche) Krisen gelenkt.
  2. Das politische Ruhigstellen der Bevölkerung durch ein vermeintliches Vorgehen gegen wahrgenommene Missstände und Bedrohungen, die aber tatsächlich der Besserstellung von Sonderinteressengruppen dienen; dazu gehören Anti-Monopol-Politik, Bankenregulierung, Beschränkung von Management-Handeln, Mietpreisbremsen, Schutzzölle und vieles mehr.

Edelman interessiert sich für die Symbolpolitik, im Bemühen zu verstehen, wie Bedeutung erzeugt und verändert werde. Das geschehe über eine Fülle von Assoziationen, die nicht widerspruchsfrei seien. Die Politiker würden Komplexität und Widersprüche mit simpler Rhetorik bearbeiten und so vermeintliche Lösungen anbieten. Die Bedeutung eines politischen Symbols stehe indes nicht fest, sondern ergebe sich für den individuellen Betrachter in der jeweiligen sozialen Situation. Es gebe keinen objektiven Sinn eines Symbols. Und weil die Perspektiven so vielfältig seien, Realität auf multiple Weise existiere, würden Politiker versuche, durch vieldeutige Symbole möglichst viele Menschen auf ihre Seite zu bringen, mit vagen Formeln und Versprechungen. Zugleich bestehe ein fundamentaler Gegensatz zwischen dem ständigen Bombardement mit politischen Nachrichten eines sich wandelnden politischen Spektrums und gleichzeitig persistenten politischen Ansichten.

„The Symbolic Uses of Politics“ erscheint aktuell wie lange nicht. Politik, politisches Handeln, Kompetenz von Politiker und Bürokraten werden in Deutschland seit ungefähr zwei Jahrzehnten zunehmend kritisch hinterfragt. Viele Bürger sind nicht mehr zufrieden, erscheinen zunehmend sogar wütend.

Ähnlichkeiten mit dem Buch über Staatspropaganda als Teil eines Militarismus von Christopher Coyne drängen sich auf, auch weil es sich nicht um einen großen Plan einer gezielten Beeinflussung der Bürger handelt. Vielmehr speist sich dort die Propaganda aus einer Fülle von Quellen, teils beabsichtigt, teils systembedingt.

In beiden Büchern geht es um ein großes Theater, um einen endlosen Strom von News, der Aufmerksamkeit auf sich zieht, ohne dass die Zuschauer irgendeinen Einfluss nehmen können. Die symbolische politische Sphäre bleibt diffus statt konkret zu sein. Symbolpolitik ist etatistisch, dramatisch, emotional. Symbolpolitik raubt Energie für abstrakte politische Symbole, die nicht mehr für konstruktives privates Schaffen verfügbar ist. Das Spiel mit Erwartungen, Ängsten und anderen Emotionen, das Gruppenbildungen und Freund-Feind-Denken lenkt vom Wesentlichen ab und ermöglicht einen gigantischen Ressourcenkonsum für wenige politisch privilegierte. Als politische Theorie steht die Symbolpolitik dafür, dass nicht die messbare Realität(en), sondern Konstrukte dominieren. Eine Perspektive, die mitunter en woke (sic!) erscheint.

Murray Edelman: The Symbolic Uses of Politics, Erstauflage 1964, University of Illinois Press, Urbana and Chicago 1964, Neuauflage 1985, 221. S., 25,00 Euro.