Staatspropaganda, Militarismus und die Bedrohung liberaler Demokratie
Staatspropaganda, Militarismus und die Bedrohung liberaler Demokratie

Staatspropaganda, Militarismus und die Bedrohung liberaler Demokratie

Staatspropaganda, Militarismus und die Bedrohung liberaler Demokratie

Frei heraus: Dieses Buch ist ein Augenöffner. Und es ist eines der besten Bücher, die ich seit langem gelesen habe (siehe auch den Beitrag „Die allgegenwärtige Bedrohung: Propaganda“ in der Kolumne “Attack Titans“).

Propaganda ist in dem von Coyne/Hall gewählten Ansatz methodisch und inhaltlich ein exzellenter Ansatz, um Regierungstätigkeit grundsätzlich zu analysieren. Das gilt weit über das engere Untersuchungsfeld hinaus, auf das sich Christopher Coyne und Abigail Hall von der George Mason University mit „Manufacturing Militarismus. U.S. Government Propaganda in the War on Terror“ konzentriert haben. Propaganda gibt es als Public Relations bei Unternehmen nichtstaatlichen Organisationen und ist bei der Klimapolitik, der Corona-Politik, der Sozial-Politik, der Geld-Politik beispielsweise offensichtlich.

Ein Merkmal von Propaganda ist, dass die Staatsführung dabei als Elite mit einem sorgfältig geschützten Informationsmonopol auftritt und die Bevölkerung als Gegner betrachtet, die manipuliert werden muss, um die Ziele der Staatsführung gegen die Interessen der Bürger zu erreichen.

Politische Ökonomie

Coyne/Hall nutzen einen politikökonomischen Ansatz, d.h. die Analyse politischer Sachverhalte mit wirtschaftswissenschaftlichen Methoden und Perspektiven, insbesondere der Public Choice Schule. Deutlich wird, dass es ein massives Principal Agent Problem gibt, weil die Bürger als Wähler keinen Einfluss auf die Politiker als ihrer Vertreter nehmen können – sie können weder eine Kontrolle ausüben, noch haben sie Anreize und Möglichkeiten die Informationsasymmetrie zu überwinden. Politiker und die Bürokraten können ihre Interessen auf Kosten und gegen die Interessen der Bürger verfolgen. Zugleich haben Politiker nur beschränkte Einflussmöglichkeiten auf die sich selbst verstetigende Bürokratie, die nach mehr Stellen und mehr Budget strebt, weil das ihr Erfolgsmaßstab ist. Die Analysen werden immer wieder in historische Einordnungen eingebettet. Das Buch liefert einen wesentlichen Beitrag zur Bedrohungsinflation.

Überblick

Coyne/Hall gliedern ihr Buch wie folgt: Zunächst schildern sie knapp die Afghanistan Paper als Enthüllungsdokumente der systematischen Täuschung der Öffentlichkeit über die Aussichten des Afghanistankriegs. Dann folgen sieben Kapitel, die sich in zwei methodische und fünf fachthematische Kapitel aufteilen. Zunächst wird die Bedeutung des Begriffs Propaganda und dessen Tragweite einschließlich der Grenzen erläutert. Es folgt die Erläuterung des verwendeten politikökonomischen Ansatzes in Bezug auf Propaganda. Die fünf ausführlich und zugleich kompakt behandelten Fachthemen umfassen

  • Staatspropaganda, um den Irak Krieg 2003 zu begründen und
  • um dessen Verlängerung durchsetzen zu können,
  • bezahlte Propaganda im Sport, vor allem der NFL, um Militarismus zu schüren,
  • Propaganda als Angst schüren im alltäglichen Flugverkehr,
  • Propaganda durch gezielte Beeinflussung von Hollywood Filmen.

Der Zweck von Propaganda ist nach Coyne/Hall simpel und wirksam: Angst schüren. „The final purpose of propaganda is to instill or reinforce collective fear in the domestic citizenry.“ (S. 12) So wird ein Schulterschluss mit der Regierung befördert. Die Bevölkerung toleriert sonst inakzeptables Verhalten und sieht Kosten als notwenigen Teil eines größeren Ganzen an.

Offenkundig bedroht Staatspropaganda eine liberale Demokratie. Propaganda befördert eine Kultur des Militarismus, d.h. militärische Effizienz wird zum obersten Staatsideal und alle Interessen werden dem Militär untergeordnet. Die Gesellschaft ändert sich massiv und die Fundamente einer freien Gesellschaft werden durch Militarismus attackiert. Ein nationaler Sicherheitsstaat entsteht.

Für Klarheit sorgt die Unterscheidung von zwei Staatsmodellen.

  • Modell 1: Der ideale schützende Staat, d.h. gewählte Politiker ergreifen nur dann Schutzmaßnahmen für die Bürger, wenn diese es wünschen. Es herrscht symmetrische Informationsverteilung. Für politischen Opportunismus ist kein Platz. Jedwede Abweichung von öffentlicher Wohlfahrt wird sanktioniert – durch die gut informierten Wähler. Für Propaganda gibt ein keine Möglichkeiten.
  • Modell 2: Die reale demokratische Politik, d.h. aufgrund des Principal Agent Problems zwischen Politikern und Bürokraten sowie Wählern kommt es zu opportunistischem Verhalten. Propaganda ist ein geeignetes Mittel zur Interessenverfolgung. Die Public Choice Theorie zeigt praktisch, dass Wahlen kaum Kontrollwirkung besitzen, zumal es keinen Zusammenhang zwischen Handlung und weit entfernt liegender Wahl sowie eine massive Informationsasymmetrie gibt. Die Wähler sind rational ignorant. Die Politiker betreiben Stimmenmaximierung. Sonderinteressen und ein tiefer Staat können nicht verantwortlich gemacht werden.

Propaganda muss auf fruchtbaren Boden fallen und von den Bürgern akzeptiert werden können, um wirksam zu sein. Dabei wirkt das gesellschaftspolitische Sanktionieren von Abweichlern (unpatriotisches Verhalten). In dieser Konstellation kann Propaganda Militarismus befördern und die Bevölkerung dazu bringen, Staatsaktivitäten zu unterstützen, die sie ohne Propaganda mit ihren Halbwahrheiten und Täuschungen ablehnen würde.

Anwendungsfälle

Nachgezeichnet wird die neokonservative Propaganda, die für die Unterstützung des Irak Kriegs 2003 durch die amerikanische Bevölkerung sorgte.

Nachdem diese Unterstützung im Kriegsverlauf rascher fiel als die im Vietnamkrieg (Ursachen: Wunsch nach raschem Nation Building, fehlende Massenvernichtungswaffen, Sorgen über hohe US Opferzahlen) wurde eine Propaganda Maschine konstruiert. Mit Talking Points, embedded journalists und vermeintlich unvoreingenommenen Experten wurde das Meinungsbild gezielt und erfolgreich manipuliert und dirigiert, die etablierten Medien eingeschlossen.

„Payed Patriotismus“: NHL und NFL wurden vom Verteidigungsministerium bezahlt, um militärische Zeremonien und Symbolik zu präsentieren. Das blieb der Öffentlichkeit und den Steuerzahlern unbekannt. Die Manipulation erstreckte sich bis in die Sprache hinein und schloss das Gleichsetzen von Militär und Sportteams ein. Das tatsächliche Ausmaß bleibt unbekannt. Allein zwischen 2012 und 2015 flossen 6 Mio. USD nur an NFL Teams für das Zurschaustellen von militärischem Patriotismus. Ein besonders drastischer Fall ist der Fall des ehemaligen NFL Spielers und Freiwilligen Pat Tillmann, der im Afghanistan Krieg fiel – durch friendly fire. Das Lügenkomplott wurde über alle militärischen Ebenen bis in die höchste Staatsspitze (Vizepräsident Cheney) etabliert.

„Flying the Propaganda Skies“ deckt die Gefährdungsinflation von Sicherheitsrisiken im Flugverkehr der USA auf. Das „Sicherheitstheater“, so Coxne/Hall, nutzt den Bürgern nicht und bringt dem dafür aufgebauten Sicherheitsapparat TSA (Transport Security Administration) ein Budget von inzwischen knapp 8 Milliarden USD. Die TSA schürt massiv und vollkommen gegenstandslos Terrorangst und kontrolliert Fluggäste in einem durch nichts begründeten Ausmaß (Gepäck röntgen, Sicherheitsscans der Reisenden, Verbot von Gegenständen im Handgepäck).

Die Chance durch einen Terrorakt ermordet zu werden beträgt für die Menschen auf der Erde insgesamt 1 zu 80.000. Die Chance von einem Kometen getötet zu werden ist in etwa gleich groß. In den USA sterben mehr Menschen durch Hundebisse oder durch Blitzschläge als durch Terrorakte. Nimmt man das Einmalereignis 9/11 aus der Statistik so ist die Zahl der Terroropfer in den USA davor und danach pro Jahr dieselbe – nämlich 0,57 pro Jahr.

Propaganda in und durch Hollywood: Sicherheitsbehörden üben einen „unglaublichen Einfluss auf die Filmproduktion“ aus. Veränderte Drehbücher, getrichene Charaktere, veränderte Handlungsstränge und das Verhindern „zu kritischer“ Filme gehören dazu. In einer Bestandsaufnahme waren davon über 800 Kinofilme und über 1.000 Fernsehproduktionen betroffen. Nach 9/11 gab es eine enge, etablierte persönliche Zusammenarbeit zwischen Hollywood und den Sicherheitsbehörden. Eine Bedrohungsinflation ist nur eine Konsequenz.

Fazit

Die enorme Machtfülle, die dem Sicherheitsapparat verliehen wurde, führt durch den umfassenden Gebrauch von Propaganda kurzfristig dazu, dass die Bürger zu sicherheitspolitischen Themen eine andere Haltung einnehmen, langfristig werden die Grundlagen einer freien Gesellschaft zersetzt. Eine Kultur des Militarismus wird befördert. Eine Kontrolle dieser Macht ist schwierig.

Was tun? Coyne/Hall untersuchen vier Ansätze:

  1. Staatliche Gesetze: waren bisher zahnlos, folgenlos und leicht zu umgehen. Es ist nicht zu erkennen, dass sich das ändert.
  2. Whistleblower: spielen eine entscheidende Rolle zur Überbrückung der Informationslücke. Allerdings gibt es trotz existierender Gesetze für sie keinen nennenswerten Schutz. In 190 dokumentierten Fällen von Vergeltungsmaßnahmen gegen Whistleblower durch ihre Behörden wurde nur in einem Fall zugunsten des Whistleblowers entschieden – nach 742 Tagen.
  3. Medien: können eine wichtige Rolle spielen, sind in vielen Fällen indes Transmissionsriemen der Propaganda.
  4. Normale Bürger bilden das wichtigste Hindernis gegen staatliche Propaganda. Dafür sind Unabhängigkeit statt Gehorsam, das Aushalten von abweichenden Meinungen und Standpunkten, das Wissen um die alltägliche Rolle von Propaganda und das Wissen um die reale, nicht ideale Arbeitsweise des Staates wesentlich. Ein mentales Training zur Immunisierung setzt genau dort an.

Michael von Prollius

Christopher J. Coyne, Abigail R. Hall: Manufacturing Militarism. U.S. Government Propaganda in the War on Terror, Stanford University Press, Stanford 2021, 147 S., Taschenbuch 26,10 Euro.