Maß und Mitte in der Politik
Maß und Mitte in der Politik

Maß und Mitte in der Politik

Maß und Mitte in der Politik

Die Auflösungsphase der Weimarer Republik steht regelmäßig im politischen Rampenlicht. Ein Ende, ein Übergang, ein Bruch, die Extreme ziehen Aufmerksamkeit auf sich. Offenkundig hat die Tragödie der ersten deutschen parlamentarischen Demokratie eine Vorgeschichte. Das Krisenjahr 1923 kann uns manches lehren. Die konfliktreiche Zuspitzung steht dem Ende Weimars kaum nach, gerade auch mit Blick auf das vergleichsweise glücklichere Ende.

Der politikökonomische Krisencocktail barg seit dem Ende des Ersten Weltkriegs erhebliches Vergiftungspotential und entfaltete besonders in der zweiten Hälfte des Jahres 1923 seine lebensgefährliche Wirkung. Politische Gewalt war an der Tagesordnung. Hunderte Verletzte und Tote, darunter bereits in den Jahren zuvor prominente politische Attentate rechtsextremistischer Organisationen und linksextreme Umsturzversuche.

1923 herrschten, wie erneut 1932, bürgerkriegsähnliche Zustände. Die Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen forderte viele Opfer. Die Hyperinflation ebenfalls – sie zerrüttete das Fundament der Gesellschaft, des alltäglichen Lebens, schuf politische Zwangslagen. Linke und rechte Putschisten bedrohten die neue Ordnung von Staat und Gesellschaft sowie ihre Mitbürger. Insbesondere jüdische Menschen waren Ziel der hetzerischen, Menschen verachtenden Kampagnen und Übergriffe. Im Ruhrgebiet wurden zahlreiche Frauen Opfer sexueller Gewalt der französischen Besatzungsmacht. In München dilettierte ein erfolgreicher Bierkeller-Redner bei seinem Putschversuch gegen das mit diktatorischen Vollmachten ausgestattete Triumvirat mit Gustav Ritter von Kahr als „besonderem Generalstaatskommissar“. Über ganz Deutschland wurde der Ausnahmezustand verhängt und die exekutive Gewalt lag beim Militär.

Statt goldener Jahre, die darauf für manchen Zeitgenossen und späteren Betrachter folgten, hätte es auch ein rasches Ende der Republik geben können. Es kam anders, wie der britische Botschafter in Berlin, Viscount d’Abernon, am 31.12.1923 in seinem Tagebuch notierte: „Nun geht das Krisenjahr zu Ende. Die inneren und äußeren Gefahren waren so groß, dass sie Deutschlands ganze Zukunft bedrohten“. (bpb)

Angesichts der kummulativen Krisenzuspitzung mutet es geradezu erstaunlich an, wie rasch ein Krisenherd nach dem anderen verlöschte, die vorläufige Verteidigung von Republik und Demokratie gelang.

Langfristig indes wirkten sich die Ereignisse, die ihnen zugrunde liegenden Kräfte, ungelösten Probleme und befeuerten Feindschaften verheerend aus. Nur 10 Jahre später wurde Hitler die Macht übertragen. Nur 15 Jahre später erreichte die Judenverfolgung mit der Reichspogromnacht einen weiteren grauenhaften Tiefpunkt. 17 Jahre später war Frankreich in einem Blitzfeldzug besiegt worden mit insgesamt über 500.000 Verwundeten und Toten. 20 Jahre später war der Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs erreicht, der in den letzten beiden Jahren noch viel mehr furchtbare Opfer forderte.

Was kann man aus dem Jahr 1923 lernen?

  1. Politische, gesellschaftliche und ökonomische Stabilität sind nicht selbstverständlich. Sie beruhen auf langfristig tragfähigen internationalen und nationalen Verhältnissen, sachgerechten unideologischen Entscheidungen, einem friedlichen Miteinander, letztlich einem Kompass, der Denken und Handeln auf „Maß und Mitte“ (Wilhelm Röpke) ausrichtet.
  2. Die Zerrüttung der Währung ist kein Kavaliersdelikt, führt in die Katastrophe, löst keine Probleme, ist das Problem. Eine unsolide Währungspolitik bereichert wenige clevere, glückliche Akteure und zerstört das Leben von vielen. Stets gilt: “Inflation is made by government and its agents. Nobody else can do anything about it.” (Friedrich Hayek)
  3. Wehret den extremistischen Anfängen! In Weimar zielten linke und rechte Gegner der Republik auf deren Zerstörung und zu Feinden stilisierten Menschen. Ein Problem stellten potente außerparlamentarische Gruppierungen dar, bis hin zu paramilitärischen Verbänden, die Herrschaftsgelüsten partikularer Kräfte Schubkraft gaben und viel Leid anrichteten. Extremismus fängt im Kopf an und endet kopflos mit der brutalen Faust. Extremismus in der Programmatik geht mit extremer Kritik einher, zuweilen geht diese der Programmatik voraus. Dummheit spielt dabei eine bedeutende Rolle, wenn Menschen die komplexe dynamische Realität nicht begreifen und mit einfachen politischen Quick-Fixes vermeintliche Lösungen anbieten. Wer sich heute umschaut, findet sie beispielsweise wirtschafts- und gesellschaftpolitisch zuhauf, Enteignungsphantasien und Preisstopps eingeschlossen. Maß halten ist eine heilsame Haltung für jedermann, nicht zuletzt für den Kritiker selbst.
  4. Kumulative Krisenzuspitzung speist sich aus vielen kleinen und großen Fehlern, aus unbeachteten und unvorhergesehenen Folgen schlechter Politik, von zu viel Politik. Die Finanzierung des passiven Widerstands in der Weimarer Republik gegen die Besatzungsmächte des Ruhrgebiets mit der Druckerpresse war ein doppelter folgenschwerer Fehler. Heute sind die Probleme der Euro-Zone und der Staatsverschuldung unterschiedlicher Wirtschaftskulturen ungelöst und Teil des aktuellen Krisencocktails. Die langfristigen Wirkungen von Politik und nicht nur die kurzfristig angestrebten Ziele lassen sich nicht ignorieren. Overshoot and Collaps sind eine Folge und ein zeitloses Muster. Wenn der Bogen überspannt ist, bricht er.
  5. Restabilisierung erfordert nicht viel, nur wenige richtige, zuweilen hart anmutende Entscheidungen, etwa ein Stopp der Notenpresse und eine neue Währung, die Aufgabe einer aussichtslosen Widerstandspolitik und eine internationale Verständigung mit konstruktiven neuen Staatsführern, das Entlarven von Populisten als lächerliche Gestalten, denen klar und hart Grenzen gesetzt werden, indem Recht und Freiheit durchgesetzt werden. Hitler war Ende 1923 offensichtlich ein lächerlicher Verlierer, dem allerdings völlig unzureichend der Prozess gemacht wurde. Noch fand sich eine Koalition der Mitte, aber die Parteien-Konflikte wirkten destabilisierend. Es braucht qualifiziertes Führungspersonal, das den Anforderungen gewachsen ist, 1923 war das u.a. Stresemann.

Wer vor allem über die Krisen mehr erfahren möchte, dem sein das aktuelle Buch des irischen Historikers Mark Jones empfohlen: 1923. Ein deutsches Trauma. Die perspektivenreiche, episodenhafte Krisenerzählung überzeugt mit einer kurzweiligen Betrachtung politischer Krisen und Gewalt durch Verbindung von Alltagsgeschichte mit den großen Entwicklungen. Einordnungen und Erläuterungen bleiben allerdings knapp, eine theoretische Fundierung fehlt, die ökonomischen Aspekte sind (dementsprechend) blass.

Die Rolle der Liberalen

Eine Demokratie ist ohne liberales Fundament einsturzgefährdet. Die Liberalen bilden die Mitte, die Sozialdemokraten und Sozialisten die Linke, die Konservativen und Nationalisten die Rechte. Extremisten sind nicht primär links oder rechts, sondern antiliberal. Das Hufeisenschema bringt das zum Ausdruck. Eine zentralisierte Staatsmacht stellt eine Verlockung dar, sie zu erobern verspricht Macht und (relativen) Reichtum. Begrenzung von Herrschaft, Wohlfahrt für alle, Gerechtigkeit und Maß halten sind liberale Stabilitätsingredienzien.

Friedrich Hayek mahnte 1945 in Dublin, die Aufgabe der Priorität genereller Prinzipien zugunsten der Präferenz für partikulare Entscheidungen führe weg von einer sozialen Ordnung der Vielfalt hin zu einem System das auf Befehlen beruhe. 1923 illustriert das. Und heute? Was denken sie über die Energiekrise und ihre Ursachen? Sollte Energie nicht in einem derart weit entwickelten Land wie Deutschland im Überfluss zur Verfügung stehen? Was denken Sie über die alarmistischen Meldungen, die mit dem komplexe Themenfeld Klima verbunden werden? Ist der Genderismus ein evolutionäres oder revolutionäres Phänomen, vielleicht nur eine Mode? Eine geldpolitische und wirtschaftspolitische Wende auf einen soliden Kurs ist seit 20 Jahren ein liberales Dauerthema, schon länger.

Liberale spielen eine zeitlose Rolle als Hüter von politischer und wirtschaftlicher Freiheit, als Mahner, den Pfad der Prosperität nicht zu verlassen, als diejenigen, die auf die Herrschaft des Rechts über jedermann pochen und sich dem Schutz jedes Einzelnen verschrieben haben. Die liberale Ordnung ist die freiheitliche Kraft, die alles durchdringt, die durch die Emotionen und das ad hoc Denken der dunklen Seite gefährdet ist. Das gilt gerade, wenn Liberalismus unzeitgemäß und unbeliebt scheint.