Peter F. Drucker (1909-2005) war und ist nicht nur ein inspirierender Denker und Praktiker der Managementlehre. Der wohl einflussreichste Managementdenker hat 1939 eine existenzphilosophische Erklärung des Totalitarismus veröffentlicht – sie trägt den Titel „The End of Economic Man“ (deutsche Ausgabe hier).
Druckers Diagnose lautet, der Faschismus sei auf eine Umwertung aller Werte ausgerichtet. Das gelte insbesondere für den Kern der modernen Industriegesellschaft. Seit Adam Smith sei das Individuum mit seinem Streben nach Verbesserung der wirtschaftlichen Lage ins Zentrum gerückt. Drucker nennt das den Homo oeconomicus. Homo Agens wäre zwar eine treffendere Bezeichnung. Gleichwohl ging es dem Ende der 1930er Jahre in Vermont Philosophie und Politik lehrenden gebürtigen Wiener treffend darum, das Individuum, die Verbesserung der wirtschaftlichen Lebenslage für jeden und damit die Voraussetzung der Freiheit als Wesensmerkmale der bürgerlichen Gesellschaft zu betonen. Kapitalismus ist für Drucker „eine soziale Ordnung und als Weltanschauung .. der Ausdruck des Glaubens an einen wirtschaftlichen Fortschritt, der zu Freiheit und Gleichheit des Individuums in einer freien und gleichen Gesellschaft führt.“ Zugleich erkennt er in der Unterordnung der Freiheit die außergewöhnliche religiöse Kraft des Marxismus.
Der Kapitalismus war mit dem Ersten Weltkrieg als Gesellschaftsordnung passé und der Sozialismus stellte für Drucker keine glaubwürdige Konkurrenz zum Kapitalismus mehr dar – das Versprechen der Gleichheit habe sich als Illusion erwiesen. Den Menschen blieb ein Rumpfkapitalismus und die Suche nach einer neuen Ordnung.
In dieser Übergangszeit boten Faschisten und Nationalsozialisten eine Ideologie mit klar strukturierter Welt, straff organisiert, klar hierarchisiert mit Führern und Gefolgschaft. Die neue Gesellschaft sollte vollständig nicht-industriell angelegt sein, d.h. nicht, dass es keine Industrie geben sollte, sondern vielmehr dass nicht länger der wirtschaftliche Erfolg des Einzelnen seine Stellung ausmachen sollte. An die Stelle des Primats wirtschaftlicher Freiheit, ließe sich formulieren, sollte der Primat der Politik rücken (in Deutschland zur Realisierung des Führer- und Rassestaats). Kurz: parteipolitische Linientreue statt wirtschaftliche Leistung.
Tatsächlich waren die Nationalsozialisten in der wirtschaftlichen Sphäre um Hierarchisierung und Privilegierung durch Führer- und Gefolgschaftsverhältnisse bemüht. Sie wirkten in Richtung einer Organisation aller Lebensbereiche: Unternehmen als Betriebsführer, privilegierte „Kraft durch Freude“ Urlauber, Wehrwirtschaft als soziale Organisation. Strebte Lenin nach einer Gesellschaft, die dem Vorbild der Post nachempfunden war, so strebten die Nationalsozialisten nach einer Gesellschaft, die dem Vorbild der Armee nachempfunden war. Ich habe das unter dem Begriff der „Kultur des Krieges“ ausführlich analysiert.
Was lehrt uns diese Analyse der Vergangenheit?
Für alle Zeit sollten bei Forderungen aus jedwedem Lager nach einem Primat der Politik über das bloß Wirtschaftliche die Alarmglocken klingeln. Wirtschaftliche Freiheit ist alltägliche Freiheit, ist soziale Freiheit par excellence. Friedrich August von Hayek schlug den Begriff Katalaxie vor, um von Missverständnisse und Missbrauch des Begriffs Wirtschaft zu vermeiden.
Wer heute im Namen der Umwelt, der Gleichheit der Lebensverhältnisse, des Antifaschismus, der Rasse und des Antirassismus, der Nation oder im Namen Europas ein Ende von Wachstum, die Beschneidung wirtschaftlicher Freiheit einschließlich internationaler Handelsfreiheit fordert oder die Meinungsfreiheit zu beschränken sucht, sogar konkrete Denk- und Handlungsmuster vorschreiben will, die es einzuhalten gelte, der macht sich zum Anwalt des Gegenteils von Liberalismus und das ist der Totalitarismus. Und es besteht kein Zweifel, dass dieses Streben schon mehrfach in Europa eine Gefahr für Leib, Leben und Eigentum bedeutet hat.
Hinweis: Frühere Fassung erstmals erschienen im nicht mehr existierenden Blog Die Bucht Rocks.