In der ethischen Sackgasse hilft nur umdrehen
In der ethischen Sackgasse hilft nur umdrehen

In der ethischen Sackgasse hilft nur umdrehen

In der ethischen Sackgasse hilft nur umdrehen

Die Welt entwickelt sich nicht gleichförmig. Wir leben in einer einzigartigen Prosperitätsphase – langfristig in Deutschland etwas seit 1840, mittelfristig in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg insbesondere seit dem Durchbruch 1948, kurzfristig, nun kurzfristig sieht es nicht besonders gut aus. Das gilt für die Entwicklung des Wirtschaftswachstums, für die Entwicklung der Standortqualität, für die Rahmenbedingungen von Unternehmen, groß und ganz klein, für die Infrastruktur, für die Verfügbarkeit von Produkten, für die Entwicklung der Lebensqualität, für die Entwicklung der Arbeitsproduktivität, den Geldwert und die Anreize zu arbeiten. All diese und viele weitere Indikatoren sowie subjektive Wahrnehmungen lassen sich auf politische Fehlentscheidungen zurückführen. Fehlentscheidungen lassen sich grundsätzlich korrigieren. Reformen sind möglich. Wenn Strukturreformen, wie in Deutschland, seit den 1980er Jahren ausstehen und seitdem durch Versäumnisse und Fehlentscheidungen noch dringender werden, kann das auf Gehör stoßen. Der Druck kann wachsen, die Konflikte können zunehmen. Bürger und Politik können darauf reagieren. Entwicklungen, die sich nicht fortsetzen lassen, werden enden, so oder so.

Nun gibt es wahrscheinlich ein größeres Problem, das hinter diesen Fehlentwicklungen steht. Und dieses Problem lässt sich nicht politisch lösen, obwohl es politische Bedeutung besitzt. Es betrifft uns Bürger – alle. Es gibt niemanden, der es für uns lösen kann. Und leider sind die Weichen in den letzten Jahren und Jahrzehnten so gestellt worden, dass wir zunächst munter, dann anspruchsvoll, nunmehr stirnrunzelnd auf einem Irrweg unterwegs sind, möglicherweise in historischem Ausmaß. Worauf ziele ich ab? Auf unser Denken über die Welt und unsere Rolle als Bürger in einem Gemeinwesen. Dazu gehören unsere Ideen, unsere Ethik, unsere Sprache und Rhetorik sowie unsere Denkfiguren, die Ideologien, denen die Masse und die Führer in den Gemeinwesen anhängen. Das erscheint vielleicht etwas abgehoben und schwer greifbar. Ich versuche das nachfolgend deutlicher zu machen. Dazu nutze ich die Überlegungen und jahrelangen Studien von Deirdre McCloskey. Meine Gedankenführung umfasst drei Schritte: 1. Ursachen für einzigartige Wohlfahrt. 2. Ordnungsalternativen. 3. Auswirkungen auf unsere Zukunft.

  1. Ursachen für einzigartige Wohlfahrt

Deirdre McCloskey (*1942) ist eine einzigartige Persönlichkeit. Das lässt sich bereits an ihrer Berufsbezeichnung ablesen: Ökonomin für Ökonomie, Geschichte, Englisch und Kommunikation. Ihr Hauptwerk in den letzten beiden Jahrzehnten untersucht die Ethik der bürgerlichen Tugend hinsichtlich ihrer ökonomischen Relevanz. Drei umfangreiche Bänden sind entstanden:

  • The Bourgeois Virtues: Ethics for an Age of Commerce (2006), University of Chicago Press (über 600 Seiten)
  • Bourgeois Dignity: Why Economics Can’t Explain the Modern World (2010), University of Chicago Press (fast 600 Seiten)
  • Bourgeois Equality: How Ideas, Not Capital or Institutions, Enriched the World (2016), University of Chicago Press (über 900 Seiten)

Pointiert zusammengefasst sind diese Untersuchungen mit Unterstützung von Art Carden in „Leave Me Alone and I’ll Make You Rich: How the Bourgeois Deal Enriched the World” auf nicht ganz 200 Seiten (siehe nachfolgende Seitenangaben hierzu).

Die umfassende, detailreiche, soziale, ökonomische, literarische und kulturelle sowie ethische Untersuchung lässt in etwa wie folgt zusammenfassen: Herkömmliche Erklärungen für die einzigartige, exponentielle Wohlfahrtsentwicklung der Menschheitsgeschichte seit der Industriellen Revolution, nach Jahrtausenden der Stagnation (von global 3 USD Konsum pro Tag pro Kopf auf global 33 USD und in den USA 130 USD), sind wichtig, greifen aber zu kurz. Die größten Wohlfahrtsprofiteure – die Armen – verdanken ihre im Jahr 1800 unvorstellbare Wohlfahrtsentwicklung nicht technischen Erfindungen, nicht Ressourcen, nicht der Kapitalbildung und auch nicht Institutionen, der Eisenbahn oder anderen üblichen Erklärungen. Vielmehr sind in ihrer Triologie unüberschaubar viele Hinweise zusammengetragen, die ein fundamental verändertes Denken der Menschen zwischen 1517 und 1789 dokumentieren. Die Ursache schlechthin sieht Deirdre McCloskey in einem „Wandel der Ethik und Rhetorik und Ideologie“ (S. 86)

  1. Ordnungsalternativen

Der Wandel zur bürgerlichen Ethik einer freien Gesellschaft, die einzigartige Wohlfahrt für alle, noch einmal: allen voran für die Ärmsten, mit sich bringt, hat durch freies Handeln eine unvorstellbare Innovation in Gang gesetzt. Unzureichend mit dem Wort Kapitalismus beschrieben, wäre Innovationismus eine Alternative. Die bürgerliche Ethik hat dazu geführt, dass Zwang durch Kooperation ersetzt wurde, Herrschaft durch Märkte, die sichtbare durch die unsichtbare Hand, Top down durch Bottom up – nie perfekt, aber fundamental.

Zur bürgerlichen Ethik einer freien Gesellschaft gibt es Alternativen. McCloskey nennt sie die vier B: Blue-Blood, Bolschewismus, Bismarckism, Bureaucracy (S. 138-141).

  • Der Deal des blauen Blutes bedeutet, wenn Du gehorchst, Steuern zahlst und Kriegsdienst leistest, bringe ich dich nicht um (und beschütze Dich – nur vor wem?).
  • Der bolschewistische (sozialistische) Deal lautet: Führe die Dir zugewiesene Arbeit aus, liefere alle Deine Leistungen an die kommunistische Partei ab, kritisiere sie nicht und wir nehmen Dir alle ökonomischen Entscheidungen ab.
  • Der Bismarck-Deal bietet Schutz gegen die Sozialisten, aber auch gegen die Bürgerlichen (Liberalen) und besticht die Armen mit ihrem eigenen Geld. Akzeptiere die Regierung als Deinen noblen Herrscher, der der Garant von Ordnung und Sicherheit in der gefährlichen Freiheitswelt ist.
  • Der Bürokratie-Deal sieht wie folgt aus: Du darfst alles tun, nachdem Du alle Erlaubnisse eingeholt hast und solange Du alle unsere Vorschriften einhälst. Das ist nur zu Deinem Schutz und dem Deiner Kunden. Nur wir als Experten können das mit detaillierten Vorschriften gewährleisten. Du gibst uns die Erlaubnis Dich zu besteuern, Dir Vorschriften zu machen, Dich zu bestraffen und Dir zu verbieten, bessere Geschäfte zu machen. Das ist ein redlicher Deal.
  1. Auswirkungen auf unsere Zukunft.

Sowohl das umfangreiche Werk als auch die pointierte, selektive Auswahl lässt sich munter und kraftvoll diskutieren. Die Bedeutung von Ideen könnte als übertrieben angesehen werden, bildet jedoch auch in zahlreichen anderen Betrachtungen eine Essenz, von der Unternehmens- und Organisations- sowie Gruppenkultur über die im Verständnis der Institutionellen Revolution mitgedachte Veränderung der Regeln und Verhaltensweisen, der Freiheit zu handeln, sich auszutauschen, seinen Mitmenschen einen Nutzen zu stiften. Gleichwohl gehen die Ideen voran und sie reichen tiefer. Wir wissen, dass arme Länder arm sind, weil sie autoritäre Regierungen haben, keine Marktwirtschaften und keine freien Gesellschaften. Entwicklungshilfe ändert das nicht. Wir wissen, dass der Wechsel zu Unternehmertum und Marktwirtschaft Innovations- und Koordinationspotenziale freisetzt, die inzwischen hunderte Millionen, insgesamt Milliarden Menschen aus der Armut geführt haben. Nein, die Menschen haben sich selbst befreit: „Leave me alone and I’ll make you (and me) rich.“ Adam Smith schrieb in seiner Moralphilosophie über Egoismus und Altruismus als eine mit einander verknüpfte Ethik, im Altruismus steckt auch Egoismus und Egoismus wirkt sich altruistisch aus.

Was bedeutet das für unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft? Meine These: Wenn wir unsere angestammte, tief verinnerlichte und massiv seit dem Kindergarten eingebimste Wahrnehmung beibehalten, die vor allem durch Elemente der 4 B, besonders der letzten beiden, geprägt ist, dann wird eine dauerhafte Wohlfahrtsentwicklung immer schwerer. Wir fallen hinter die Aufklärung zurück. Es geht darum sich dem Denken und Mitgefühl zuzuwenden, dass unternehmerisches Handeln als Grundlage unseres Lebens ansieht. Wir sind alle Lebensunternehmer. Wir brauchen nicht ehrerbietungsvoll Experten und sogenannten Eliten um Erlaubnis fragen oder uns politisch korrekt zu verhalten. Wir stecken nicht in einer malthusianischen Klimafalle. Wir sind nicht gute Menschen, wenn wir für garantiertes Einkommen ohne Leistung stimmen und bürgerliche Werte verabscheuen oder ethisch erworbenen unternehmerischen Reichtum kritisieren.

Wir sollten aufgeschlossen auf Innovationen und neue Handelschancen schauen. Wir sollten den Beitrag zur Verbesserung unseres Lebens durch die vielen Familienunternehmen und Kleinstunternehmer schätzen. Weder beuten Unternehmer grundsätzlich aus und ziehen Kunden über den Tisch, eine solche Reputation können sich fast alle nicht leisten, noch ist der Staat der ehrbare Vater oder die fürsorgende Mutter mit Anspruch auf Gehorsam.

Kehren wir zurück den Tugenden der Courage, der Gerechtigkeit, der Mäßigung und der Klugheit sowie zu Glaube, Liebe, Hoffnung als Essenz von bürgerlichem Leben und einem prosperierenden Miteinander in all seinen Facetten.