Liberale Voraussagen treten reihenweise ein
Wir leben in einer Zeit, in der ökonomische Gesetze nicht mehr gelten, vermeintlich. Ein Abwehrschirm wird aufgespannt und zugleich die Sprache militarisiert. Schulden werden als Sondervermögen deklariert. Die Gasumlage wäre eine Gaspreiserhöhung und Umverteilung gewesen. Die Gaspreisbremse behandelt das Nervensystem der Marktwirtschaft – Preise – wie ein simples Gaspedal. Zugleich ist in Vergessenheit geraten, was Kritiker über die keynesianische Wirtschaftssteuerung bereits in den 1970er Jahren sagten: Gas geben funktioniert immer, nur bremsen nicht. Durch Schuldenauslagerung wird die Schuldenbremse eingehalten. Die EZB verfolgt seit 10 Jahren eine Politik des What-ever-it-takes und muss nach ihren Warnungen vor Deflation und vorübergehender Inflation der zweistelligen Konsumentenpreisinflation mit Zinserhöhungen hinterherhinken. Auch hier ist von kämpfen die Rede, bereits ohne Bezug zum Ukrainekrieg. Der Wohlfahrtsstaat hat mit 1 Billionen Euro seine zwischenzeitlich maximale Aufblähung erfahren. Steuern und Abgaben sind dementsprechend hoch. Ein internationales Steuerkartell wird etabliert mit derzeit 15%-Mindeststeuer. Teilzeitarbeit wird propagiert, auch Vollzeitarbeitskräfte machen Gebrauch davon. Zugleich fehlen Arbeitskräfte, die Arbeitsmoral ist mäßig, die Akademisierung hoch, Handwerker fehlen massenhaft. Die staatliche Energierevolution führt zu Energiemangel und Höchstpreisen für Energie ohne positive Wirkung auf Klima und Temperaturänderungen.
Ludwig von Mises rackerte als „letzter Ritter des Liberalismus“ (Jörg Guido Hülsmann) unermüdlich, um Freiheit, Vernunft und den besseren Ideen eine Chance zu geben, sah sich schließlich doch lediglich als Chronist des Niedergangs. Leider wird die liberale Weitsicht im politischen Alltag allzu leicht zur Tragödie. Liberale durchleben beim Betrachten politischer Entscheidungen haarsträubendes Entsetzen, leidendes Ertragen, schließlich auch Abwenden angesichts der immer und immer wieder in den Wind geschlagenen Einsichten. Zurücklehnen und murmeln: „Wir haben es Euch ja gesagt.“ kommt selten als Schadenfreude vor. Freude angesichts treffsicherer negativer Mustervorhersagen erscheint unangebracht.
Unerhörte Warnungen
Die Gründerväter und Patenonkel der Bundesrepublik – Ludwig Erhard, Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow, Franz Böhm, selbst Konrad Adenauer – kritisierten den Wohlfahrtsstaat massiv und lehnten diese Form der staatlichen Steuerung von Wirtschaft und Gesellschaft als asozial und perspektivisch totalitär ab (AT: Wohlfahrtsverluste durch den Wohlfahrtsstaat). Adenauer schrieb am 16.01.1955 an alle Bundesminister: „In vielen Lebensbereichen der Bundesrepublik haben die Hilfen des Staates einen Umfang angenommen, der nicht nur eine bedenkliche Annäherung an versorgungsstaatliche Prinzipien erkennen, sondern das allmähliche Entstehen eines totalen Wohlfahrtsstaates befürchten läßt.“ (Quelle, S. 490) Ordnungspolitisch versierte Ökonomen und Publizisten haben seit Jahrzehnten auf die kontraproduktiven ökonomischen und sozialen Folgen hingewiesen. Bereits frühe klassische Liberale wie Wilhelm von Humboldt haben die vermeintliche Wohlfahrtspolitik zurückgewiesen.
Staatliche Geldentwertung und Schüren von Finanzkrisen
Die verfehlte Geldpolitik der Zentralbanken war wiederholt und im Grunde Gegenstand permanenter Kritik liberaler Ökonomen. Eine positive Folge stellt die monetaristische Wende der 1970er Jahre dar, Milton Friedman sei Dank, nach der Inflationspolitik der 1960er Jahre, von Henry Hazlitt kritisiert und weithin wahrgenommen seit mindestens 1960, erneuert 1974 und 1978. Mitunter bereits Jahre vor der Finanz- und Staatsschuldenkrise haben insbesondere Ökonomen, die (auch) der Österreichischen Schule nahestehen (Baader, Otte, Shiller, Taleb, Vogt, Polleit, Taylor, Hülsmann) vor dem Irrweg der Politik des billigen Geldes gewarnt und die fatale Regulierung der Immobilienmärkte sowie die Mainstream Ökonomie mit ihren falschen Modellen kritisiert. Im Zuge der Finanzkrise sind zahlreiche lesenswerte Aufarbeitungen dazu entstanden (u.a. von Sowell, Roberts, Bagus, Koppl, Selgin, Schnabl, Mayer, Polleit/Prollius, Schüller, Hülsmann). Das Euro-System ist seit mindestens 1993 publizistisch fundiert als dysfunktional kritisiert worden (Baader, beeindruckend 335ff., zuvor im Juni 1992 das Manifest von 60 Professoren gegen eine Währungsunion). Die heutigen Probleme wurden vorweggenommen. Dass Schuldenpolitik Geldentwertung treibt, ist eine ökonomische Binse. Die staatliche Blasenökonomie mit ihren widerkehrenden, oft globalen Krisen sollte inzwischen Allgemeinwissen sein.
Erstarrend wirkender Etatismus und Wohlstandsverluste
Ein weniger beachtetes Feld ist die Bürokratisierung. Das ist umso bemerkenswerter als Bürokratisierung und Wohlfahrtsstaat dasselbe sind. Selbstverständlich gibt es seit Jahrzehnten Klagen über die Überregulierung, die unzureichende Arbeit der staatlichen Verwaltung, längst auch aus der staatlichen Verwaltung selbst. Die Entbürokratisierungsversprechen gehen insgesamt mit einer wachsenden Bürokratisierung als Teil des Staatswachstumseinher. Handwerker, Unternehmer, Steuerzahler, Warteschlangen-Bürger, und alle, die auf eine Digitalisierung von Antragsverfahren warten, können davon ein Lied singen. Die Eigenheiten der bürokratischen Arbeitsweise und deren Folgen hat bereits 1944 Ludwig von Mises aufgezeigt. Die Thematik erstreckte sich in den 1990er Jahren, im Grunde seit den späten 1970er Jahren hinein in die Reformforderungen ordnungspolitisch versierter Ökonomen, warf Fragen der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland auch in den 1990er Jahren auf, wurde um und nach 2010 unter den Begriffen Mehltau und Sklerose diskutiert (aktuell für die Industrie und Europa) und erstreckte sich bis hinein in die Problematik der unzureichenden Entwicklung der Arbeitsproduktivität respektive der Zombiewirtschaft. Die Unmöglichkeit der Energiewende in ihrer geplanten Form hat insbesondere Hans-Werner Sinn dargelegt (2008, 2020). Die Wohlstandsverluste hatte ich in einem der letzten Kolumnenbeiträge bereits thematisiert, inzwischen wird auch die ökonomisch schädliche Corona-Politik bilanziert (zuvor bereits Sinn).
Die besseren Ideen reichen nicht aus
Wie ist es angesichts dieser Skizze möglich, dass immer noch Menschen glauben, Politik würde das Gemeinwohl befördern? Warum werden die bewährten besseren Ideen nicht gehört und verfolgt? Ludwig von Mises urteilte am Schluss seiner sechsteiligen, glänzenden Vorlesungsreihe im Jahr 1958: „Wir brauchen nichts anderes zu tun, als die schlechten Ideen durch bessere zu verdrängen.“ (S. 132) Und er zeigte sich in Argentinien zuversichtlich, dass die heranwachsende Generation diese Aufgabe meistern werde.
An dieser Stelle kann keine substanzielle Erklärung für das Ausschlagen liberalen Besser-Wissens gegeben werden. Einige plausible Überlegungen liegen auf der Hand: Die Anreizsysteme für das Handeln von Politikern sind nicht per se vereinbar mit langfristig guter Ökonomie. Ökonomische Kenntnisse sind kein Allgemeingut, eher ein Mangel – auch das Denken in komplexen dynamischen Systemen stellt naturgemäß eine Herausforderung dar. Marktfeindschaft ist verbreitet, dazu später einmal mehr. Ein praktisches Problem besteht darin, dass mit zunehmender Verstaatlichung eine Zentralisierung vollzogen wird, vielfach der Ruf nach mehr Einheitlichkeit erschallt. Das Problem: Mit einer Zentralisierung werden auch die Fehler zentralisiert, werden ihre Folgen maximiert, fällt es schwer, die gravierenden Fehler rückgängig zu machen. Die Staatswirtschaft erfordert perfektes Wissen, Märkte benötigen das nicht. Schließlich wirft das die Frage nach einem substanziellen Demokratieproblem auf: Anreizprobleme, weitgehende Alternativlosigkeit, sogar Ausgrenzung und Stigmatisierung Andersdenkender, keine Einflussnahme durch die Bürger möglich.
Es lohnt sich neu zu denken, so wie 1776 schon gedacht wurde, mit den Grundlagen von 1759: Starten wir mit der Annahme, dass Märkte, genauer Menschen auf Märkten, Ergebnisse zeitigen, die massenhaft Gutes bewirken und die Eingriffe der Regierung das schwerlich verbessern – nicht andersherum.
Weitere Impulse bietet mein Gedankenanstoß: Ein liberales Manifest. Sieben Prinzipien und einige Klarstellungen (2021).