Staatsversagen wird gefürchtet. Anarchie droht scheinbar Folge und Bedrohung zugleich zu sein. Marktversagen wird kritisiert und als ubiquitär unterstellt. Der Staat soll es stattdessen richten.
Liberale fürchten sich nicht vor Staatsversagen. Sie erkennen es jeden Tag.
Liberale wissen zudem um das sogenannte europäische Wunder.
Damit ist der Aufstieg der Welt aus der malthusianischen Falle und die Entstehung der modernen, prosperierenden Welt gemeint. Das europäische Wunder beruht auf einer Form politischer Anarchie: Freiheit. Nur in Europa war es möglich bei Staatsversagen in einen benachbarten Staat abzuwandern. Ob Luther im 16. Jahrhundert, Hugenotten im 17. Jahrhundert, Freiheitskämpfer im 19. Jahrhundert wie Ludwik Mierosławski und kurzfristig Friedrich Hecker oder im 20. Jahrhundert von den Nationalsozialisten verfolgte Menschen, alphabetisch beginnend mit Albert Einstein, anschließend von den Sozialisten verfolgte Ostdeutsche, insbesondere vor dem Mauerbau. Alle Versuche, ein zentralistisches europäisches Imperium zu errichten, sind gescheitert. Freiheit und Vielfalt bekamen eine Chance.
Der staatliche Flickenteppich Europa bildete die notwendige Voraussetzung für den Durchbruch der institutionellen Revolution, die als Industrielle Revolution das Leben der Menschheit fundamental zum Besseren gewendet hat, hunderte Millionen Menschen konnten fortan leben und überleben. Als globale kapitalistische Revolution hat das zu zwischenzeitlich weniger als 10 Prozent absolut armen Menschen geführt.
Gewaltmonopol
Liberale sind ziemlich staatsfixiert, weil sie wissen, dass Staatsversagen dramatische Folgen hat. Es gibt keine größere Bedrohung für das Leben von Menschen als das staatliche Gewaltmonopol. Wir sehen 2022 erneut, wozu ein Mann in der Lage ist, wenn er das Gewaltmonopol kontrollieren und einsetzen kann. Tausendfacher Tod, Verletzung, Vertreibung, Zerstörung – begleitet von Putings, Putin Meetings als staatlich organisierte Akklamationen.
Alltagsversagen
Staatsversagen tritt indes regelmäßig niedrigschwelliger auf. Davon betroffen sind viele Menschen ökonomisch, vor allem durch Geldpolitik, Wirtschaftspolitik, Fiskalpolitik. Den Verlust von Einkommen und Vermögen durch die fortwährende, seit 2008 noch einmal befeuerte Inflationspolitik der Zentralbanken spüren wir heute fast alle. Wir müssen immer mehr Geld für dieselben Güter bezahlen – bei Aldi auf einen Schlag für rund 400 Lebensmittel. Zuvor waren Immobilienpreise inflationiert worden. Verzerrt werden die Preise durch Mindest- und Höchstpreise, besonders prominent bei Mieten und Löhnen, weniger sichtbar und mit drastischen Folgen bei den Auflagen für Produkte, vielfach aus sogenannten Umweltgründen, die zudem die Lebenszeit von Maschinen verringern, darunter Waschmaschinen und Durchlauferhitzer. Die progressive Besteuerung, Doppel- und Dreifachbesteuerung bis hin zur Todessteuer, als Erbschaftssteuer bekannt, führt zum Aufzehren von Kapital, Schwächung der Privatheit und zur Verschwendung durch aufgeblähte Behörden.
Unendliche Liste
Der Staatsapparat ist zugleich überfordert, eine hinreichend funktionsfähige reale und digitale Infrastruktur bereitzustellen. Die Schulen mit riesigen Lerngruppen von über 20 und regelmäßig über 30 Kindern sind ein Armutszeugnis, viele Hochschulen inzwischen ideologisch zersetzt. Die Corona-Politik, in den USA auch als Covidiocracy bekannt, ist ein trauriges Beispiel des Staatsversagens, das einsetzte als man von individuellem Schutz zu einer kollektivistischen Verhaltensmaßregelung überging. Zugleich haben es viele Staaten und föderale Einheiten besser gemacht als Deutschland und seine Bundesländer. Arme Kinder!
Ob Vorschriften, beim Bauen und Renovieren, staatliche Umverteilung zur Finanzierung von Kunst für wenige, die staatliche Förderung dubioser Gruppierungen, die desaströse, unsere Sicherheit gefährdende Energierevolution oder die Zerstörung der Bundeswehr, es gibt kaum einen Bereich, der nicht durch Staatsversagen gekennzeichnet ist. Die Probleme im Detail sind vielseitig, mitunter verwickelt und differenziert zu betrachten. Selbstverständlich. Das ändert nichts an den strukturellen Problemen staatlichen Handelns, die Liberale aufzeigen.
Wissenschaft des Staatsversagens
Wissenschaftler der Public Choice Theorie untersuchen seit über 60 Jahren Egoismus und Karrierestreben von Politikern und Bürokraten sowie das Wählerverhalten. Ein Ergebnis lautet: Das Gemeinwohl ist regelmäßig das Wohl der eigenen Gruppe. Per Stimmenkauf werden wechselnde Partikularinteressen bedient. Eine sich ausdehnende Bürokratie schiebt sich zwischen Regierung und Bürger. Diese Schule der Neuen Politischen Ökonomie hat mehrere Nobelpreisträger hervorgebracht; sie legt die Mechanismen der Entfremdung von Politik und Bürgern offen und ist im Kern eine Theorie des Staatsversagens. In prosperierenden Zeiten fallen die Missstände weniger auf.
Dazu gehören:
Anmaßung von Wissen: Staatsvertreter meinen über ausreichend Wissen zu verfügen, was tatsächlich aber nicht annähern der Fall ist. Sie beurteilen regelmäßig auf einer mangelhaften Grundlage komplexe Situationen und Systeme. Die Eingriffe erweisen sich anschließend als kontraproduktiv.
Zentralisierung von Fehlern: Ein Fehler staatlichen Handelns ist besonders gravierend und weitreichend, weil der Fehler sehr viele Menschen betrifft, anders als eine Fehlentscheidung eines Unternehmens, weil es keine Alternative und keinen Wettbewerb gibt, weil der Staat und seine Bürokratie lange für eine Korrektur brauchen, wenn das überhaupt der Fall ist.
Siegen müssen: Der Staat kann und darf nicht verlieren. Das Gewaltmonopol darf nicht angetastet werden. Die Glaubwürdigkeit darf nicht untergraben werden. Wer siegt, hat Recht oder setzt das Recht. Handlungsfähigkeit sicherstellen ist wichtiger als bestmöglich handeln. Bestmöglich handeln ist zumeist unmöglich, weil niemand weiß, was das Gemeinwohl ist, es sei denn, man beschränkt sich auf allgemeine Rechtsregeln.
Hinzu kommt eine Anreizproblematik: Niemand wird gefeuert, niemand ist verantwortlich, kaum jemand hat einen Vorteil, dadurch dass er eine gute Lösung erarbeitet. Es fehlen hinreichende Feedbacks und Wettbewerb. Die Bürokratie kann nicht untergehen wie ein Unternehmen. Es gibt keine Anreize für Effizienz und Effektivität. Parteien grenzen sich ab.
Staatsversagen betrifft Legislative, Exekutive und Judikative, tritt auf kommunaler, landes- und Bundesebene auf sowie der EU mit ihren Institutionen.
Staatsvergessenheit
Bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein war über das liberale Lager hinaus klar, dass der Staat die herausragende Bedrohung der Freiheit darstellt. Der österreichisch-schweizerische Bankier und Nationalökonom Felix Somary – wegen seiner Prognosesicherheit auch als Raabe von Zürich bekannt – urteilte: „Sein Charakter als Zwangsorganisation und Kardinalgegner der Freiheit ist von alters her bis zu Lenin unbestritten“.
Liberale ziehen daraus nicht den Schluss, den Staat abzuschaffen. Leider sind sie nicht wirksam genug, ihren Ideen für ein Staatsgelingen Gehör zu verschaffen, geschweige denn, diese Realität werden zu lassen. An dieser Stelle müssen ein paar Stichworte als Hinweise genügen (später einmal mehr – schon jetzt hier).
Staatsgelingen
Für ein Staatsgelingen ist zunächst eine Konzentration auf Kernaufgaben unerlässlich, ein Minimalstaat für minimales Versagen und maximales Gelingen. Das geht mit einem Vorrang privater Initiative einher. Grundlage dafür ist eine reformierte Verfassung, konsequent liberal und mit echter Gewaltenteilung. Eine Schlüsselfunktion besitzt die weitgehende Privatisierung der Bildung, aus der eine Kultur der Freiheit erwächst. Maximaler politischer Wettbewerb durch Nonzentralismus und unabhängige Eigenständigkeit jedweder politischen Einheit ist selbstverständlich. Erwähnt seien noch für die Staatsverwaltung Vorschläge wie ein erweiterter Bundesrechnungshof, der auch rechtliche und politische Sachverhalte prüft, eine strikte Begrenzung von Amtszeiten sowie Losverfahren bei Wahlen zum Aufbrechen politischer Berufskarrieren und Machtnetzwerke sowie eine wirksame Schuldenbremse mit Gehaltsabzügen für die Verantwortlichen.
Vieles ist konzeptionell möglich, politische Freirechtszonen analog zu Freihandelszonen könnten das ausprobieren. Alles ist jedoch nichts ohne eine hinreichende Zahl Freiheit liebender Bürger.