Staatsgelingen
„Was bedeutet es, wenn die Bürger dem Staat nicht mehr vertrauen?“ fragte Florian A. Hartjen im Newsletter von Prometheus. Das Freiheitsinstitut. Sowohl unreflektiertes Misstrauen als auch Vertrauen sind unangebracht. Hilfreich ist eine konsequente Kritik, die Impulse für Verbesserungen aufzeigt.
Es lohnt sich die günstige Gelegenheit zu ergreifen. Die Perfomance des Staates ist ausgerechnet in der Krise (Corona) unzureichend. Wer von Marktversagen spricht, sollte vom Staatsversagen nicht schweigen und dann Ansatzpunkte für Staatsgelingen geben. Das soll nachfolgend in Thesenform geschehen. Unter Staat wird hier die Verwaltung der öffentlichen Aufgaben verstanden, d.h. sowohl die Institution mit ihren besonderen Regeln als auch die in ihr arbeitenden Personen. Der Text ist in der Corona-Zeit entstanden.
Aktuelle und zeitlose Gründe für Staatsversagen – 7 Thesen:
- Die öffentliche Verwaltung (Bürokratie) steht in zunehmendem Wettbewerb mit nicht-staatlichen Akteuren und deren Dienstleistungen. Internet und Digitalisierung offenbaren eine schlechte Performance rasch. #Wettbewerb
- Die öffentliche Verwaltung leidet vielfach selbst unter einem Modernisierungsstau. Dazu gehört auch eine überbordende Verregelung. Das beeinträchtigt die Arbeit der Menschen, die im Staatssektor arbeiten und die von ihnen erbrachten Dienstleistungen. #Veralte
- Die Staatsbürokratie arbeitet systembedingt nach dem Maßstab der Einhaltung von Regeln und nicht primär mit dem Ziel, bestmögliche Dienstleistungen für Kunden zu erbringen. Diese defensive, verwaltende Tätigkeit macht sie anfällig für Sklerose. Die Voraussetzungen für lösungsorientiertes Krisenmanagement sowie adaptives, agiles Organisieren und Führen sind keine Kernkompetenz (eine Ausnahme ist z.B. in Teilen die Bundeswehr). #Bürokratie
- Zentralisierung und Hierarchisierung machen den Staat anfällig für eine Anmaßung von Wissen, die Auffassung als Sieger vom Platz gehen zu müssen – koste es, was es wolle – sowie für aufgrund der Zentralisierung weiterreichende Fehler, die sich auf das Leben sehr vieler Menschen auswirken. #Zentraliserung von Fehlern
- Die Hürde für erfolgreiches staatliches Handeln liegt vielfach besonders hoch, weil sehr viel (mehr) Wissen über komplexe dynamische Systeme zunächst gewonnen und anschließend für Entscheider aufbereitet werden muss, die mit ihrem Mindset und nicht allein sachorientiert, frei von anderen Einflüssen entscheiden. Zugleich gibt es in der Staatssphäre mit einer Mischung aus politischen und bürokratischen Karrieren eine Reihe von Herausforderungen: Management- und Krisenmanagementfähigkeiten werden erst allmählich professionell aufgebaut, anders als im beispielsweise sportlichen Leistungswettbewerb findet keine strikte Auswahl der Besten statt. Faktische Unkündbarkeit besitzt ebenfalls Bedeutung. Zugleich sind Anreize für Lernen begrenzt: mangels Wettbewerb, durch Jobgarantie, angesichts mitunter unausgeschöpftem Potenzial für Fehlerkultur, vielleicht auch aufgrund von Verwaltungstätigkeiten, deren positive Folgen anders als in der Wirtschaft schwer greifbar sind. #Komplexität und Bürokratie als schwierige Mischung
- Die Digitalisierung entfaltet eine disruptive Wirkung auf den öffentlichen Sektor und setzt damit die Entwicklung fort, die das Internet bereits erzeugt hat: die in vielen Feldern weithin sichtbaren Vorteile dezentraler, arbeitsteiliger, potenziell globaler Kommunikation und Koordination, die das Wesen einer unternehmerisch-bürgerlichen Ordnung ist. #Disruption
- Die Ausweitung des Staates und seine vielfach wahrgenommene Allzuständigkeit, langjährig von Bürgern eingefordert und erwartet, geht einher mit einer Politisierung vieler Lebensbereiche. Zugleich sind viele Informationen heute offen verfügbar, rasch zugänglich und einschätzbar. Sie bilden die Grundlage für eine vielstimmige Staatskritik. Der Staat hat in vielen Bereichen hinterfragenswerte beherrschende Stellungen und (Quasi-)Monopole. Die staatliche Ausdehnung korreliert mit Defiziten in beanspruchten Kernaufgaben: Sicherheit, Infrastruktur, Bildung, Wettbewerbsfähigkeit des Standorts etc. #Fetter statt fitter Staat
Die Thesen zum Staatsversagen haben es in sich. Das liegt an der Vielzahl der vermuteten Ursachen, die Faktoren aus so unterschiedlichen Bereichen enthalten wie: durch das System Staat selbst bedingt, eine veränderte Umwelt, Problemverschleppungen, personelle Defizite. Die Pfadabhängigkeit einer ausstehenden Modernisierung des Staates vom 20. in das 21. Jahrhundert und seit Jahrzehnten in Deutschland angemahnter Strukturreformen, z.B. der sozialen Sicherungssysteme, des Steuerrechts und einer weitreichenden Entbürokratisierung, wurde hier allenfalls gestreift.
Das Staatsversagen macht es gerade den Angehörigen der staatlichen Sphäre schwer. Politiker stehen schlecht da, ihr Ansehen ist im Berufsvergleich schlecht. Die Bürokraten, also die in der staatlichen Sphäre tätigen Menschen, leiden selbst unter schlechten Arbeitsbedingungen und möchten das ändern. Die Probleme erscheinen indes zu verwickelt. Betont sei, dass es viele kluge, tatkräftige Menschen gibt, die im und für den Staat arbeiten. Staatsversagen ist ein Systemproblem im Sinne der Systemtheorie: Die Defizite sind größer als die Summe der einzelnen Handlungen.
Niemandem wird ein Gefallen getan, wenn es dabei bleibt. Weder den Staatsdienern noch den Bürgern.
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- Konservative könnten der Aussage zustimmen, dass der Staat in dieser Perspektive das Problem und nicht die Lösung ist.
- Linke könnten der Aussage zustimmen, dass der Staat in dieser Perspektive nicht geeignet ist, für weniger Unterdrückung und mehr Aufstieg Benachteiligter zu sorgen.
- Liberale und auch Libertäre dürften der Aussage zustimmen, dass der Staat in dieser Perspektive weder konsequent Freiheit garantiert noch durch das Recht alle Menschen wirklich gleich behandelt.
- Anarchokapitalisten sei zugerufen, dass es an der Zeit ist, realistisch aufzuzeigen, wann und wo nicht-staatliches Handeln in Kernbereichen überlegen ist – durch praktisches Handeln.
Der Worst Case ist das Weiter so. Ein solcher Kurs würde genährt werden durch eine wachsende Diskrepanz zwischen Selbstverständnis und Realität, zwischen Ablehnung, Ignoranz oder gar Verbot einer Kritik des Staatshandeln und der Realität der Bürger dort draußen. Mit den Worten von Frank Schäffler, der die aktuellen Entscheidungen der Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin wie folgt kritisierte: „Die jüngsten Beschlüsse zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sind ein Dokument des Scheiterns. Sie offenbaren eine Konzept- und Strategielosigkeit, die ihresgleichen sucht. Während sich andere Länder aus der Pandemie herauskämpfen, rutschen wir immer weiter hinein.“ (Quelle Newsletter Christian Sauter & Frank Schäffler vom 26.03.2021)
Zum Aufbruch und damit zum Staatsgelingen.
Ansatzpunkte für Staatsgelingen – 7 Thesen:
- Verändertes Mindset und Handeln: Konzentration auf die staatlichen Kernaufgaben, d.h. Sicherheit nach innen und außen sowie dafür notwendige Verwaltungsaufgaben in liberaler Perspektive – ergänzt um eine soziale Sicherung, die die persönliche Verantwortung betont. Auf- und Abgabe aller Systeme der Förderung und Beschränkung. Rückbau des „Wirtschaftsstaats“ (Walter Eucken). Das ermöglicht es dem Staat, beim Schutz von Leib, Leben und Eigentum besser zu werden. #Staatliche Kernkompetenz stärken
- Vertrauen in die spontane Ordnung wiedergewinnen, zuerst im Staatssektor selbst sowohl bei Politikern als auch bei Staatsbediensteten, anschließend, falls erforderlich, werbend in die Gesellschaft hinein. In einer Bürgergesellschaft mit freier Marktwirtschaft spielt der Staat eine wichtige – dienende – Rolle. Staatliche Tätigkeit sollte in vielen derzeit angestammten Bereichen ähnlich wie Führung als zeitlich befristete Aufgabe angesehen werden, die man auch wieder abgeben kann. #Bürgergesellschaft statt Etatismus
- Staats- und Verfassungsreform mit Elementen wie einer Begrenzung der Amtszeit, einer Aufwertung der Legislative, einer konsequenten Beschränkung der Exekutive für eine wirksame Gewaltenteilung, Neuerungen ausprobieren, die lange in die Menschheitsgeschichte zurückreichen wie die Berücksichtigung von Losverfahren für die Auswahl bedeutender Ämter, Stärkung des Förderalismus auch als Wettbewerbsverfahren für stetig bessere Lebens- und Standortbedingungen. Dabei geht es nicht um einen großen Wurf, sondern viele Schritte. #StaatsReform
- Modernisierung der Informations-, Kommunikations- und Koordinationssysteme. Das gilt nicht nur für alltägliche Dienstleistungen, die nicht einem Ämtermarathon oder Formulargebirge für die Bürger gleichen, sondern automatisch durch die Behörden selbst erfolgen, z.B. das Ausstellen eines neuen Passes oder im bisherigen System das Gewähren von Kindergeld mit der Geburt. Das gilt insbesondere für Entscheidungen mit weitreichenden Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft wie bei der Gesundheits- und Wirtschaftspolitik. Dafür gibt es konkrete Ansätzeauch bei der Digitalisierung. #ZukunftStaat
- Veränderung der Karriere und Expertise im Staatsdienst durch eine Mischung aus einem systematischen Austausch mit Tätigkeiten in und Personal aus Wirtschaft und nicht-staatlichen Institutionen, Überprüfung des Beamtentums, Modernisierung der Verwaltungsorganisation weg von starren, vielstufigen Hierarchien und hart abgegrenzten Laufbahnen hin zu ergebnisorientierten Aufgaben und Leistungen. Hier gibt es offenkundig Unterschiede zwischen einem Richter, Soldaten und Mitarbeiter in einem Grundbuchamt. #Öffnung des Staates
- Dezentralisierung wo immer möglich. Regionale und kommunale Ansätze weisen auch in der Pandemie den Weg, siehe Tübingen. Bürgernähe und Unterstützung der spontanen Kooperation durch verlässliche Rechtsregeln, die vor allem aus der Bürgergesellschaft selbst stammen und dortige Konflikte entscheiden. Harmonie, dort ermöglichen, wo es das Zusammenleben der Menschen betrifft, statt Harmonisierung von Lebensbereichen in ganz Europa, die keine Berührung aufweisen. #Entdeckungsverfahren
- Konsequente Gemeinwohlorientierung, so dass nicht einzelne Gruppen besser gestellt werden, die regelmäßig hervorgehoben werden, während die Lasten für viele andere verteilt werden und unerwähnt bleiben.
Zu berücksichtigen ist nicht nur die materielle Umverteilung, sondern auch die Vergabe von Privilegien. Ob Vorrang für Rentner in der Pandemie oder Pauschalen für Pendler – beides sind keine originären Aufgaben eines Staates, der seine Bürger gleich behandelt. Der Markt würde eine Impfung weitaus schneller und effizienter koordinieren, mit weniger Opfern, wie andere Staaten zeigen. Für Logistik gibt es versierte Unternehmen. Die Bürger würden unabhängig von Verlockungen entscheiden, wo sie zu welchen Bedingungen wohnen wollen. Freie Immobilienmärkte würden die dafür benötigten Wohnungen und Häuser bereitstellen. Dabei müssen lediglich die staatlichen Sicherheitsstandards berücksichtigt werden.
Staatsgelingen kurz und zusammengefasst: Ein Bürgerstaat, der unternehmerischer, effektiver und innovativer, weil bürgernah funktioniert. Der Bürgerstaat ist der Staat der Bürger, denen er dient, von denen er beauftragt wird, das Leben aller zu verbessern. Ist nicht genau das auch die Daseinsberechtigung? Verkürzt: weg vom Staatsdiener hin zu den Bürgerdienenden für mehr Staatsvertrauen. #Freiheitsliebe