Warnsignale: Die Organisation der Gesellschaft
Warnsignale: Die Organisation der Gesellschaft

Warnsignale: Die Organisation der Gesellschaft

Warnsignale: Die Organisation der Gesellschaft

Wie kann man Ihnen als Leser eine Beobachtung näherbringen, die Anlass zu großer Besorgnis gibt? Es handelt sich nicht um den alltäglichen Alarmismus, auch wenn die Alarmzeichen unübersehbar geworden sind. Außerdem gibt es für das langfristige Problem keine einfache Lösung. Es helfen weder Verbote von Plastikstrohhalmen noch Verzichtappelle wie kalt duschen und warm anziehen. Auch der Verzicht auf Winnetou während der Fahrt mit dem 9 Euro Ticket ist nicht die Lösung, sondern das Problem.

Mir ist eine Geschichte aus den frühen 80er Jahren eingefallen, die sich tatsächlich zugetragen haben soll. Ein Mann aus Russland war in die USA gezogen. Ein etwas ungewöhnliches Ereignis. Dort ging er in den Laden einer Telefongesellschaft, um einen Festnetzanschluss zu bekommen. Auf die Frage, wie lange es dauern würde, bis sein Telefonanschluss zu Hause installiert sein würde, antwortete die Verkäuferin verdutzt: „Heute. Wenn Sie jetzt nach Hause gehen, dann können Sie telefonieren. Ihr Anschluss wird gerade frei geschaltet.“ Der Russe glaubte das sei ein Scherz. Die Pointe der Geschichte lag allerdings keinesfalls in der verblüfften Reaktion des Russen. So habe ich die Erzählung nicht erlebt. Vielmehr konnten Deutsche die Geschichte nicht glauben. Die unvorstellbar schnelle Bereitstellung eines Telefonanschlusses durch ein Telekom-Unternehmen in den USA im Vergleich zur deutschen Post, die als Staatsmonopolist für Telefon und Post zuständig war, schien ein Wunder zu sein: sofort im Vergleich zu mehreren Wochen Wartezeit. In der DDR werden es vielleicht Jahre gewesen sein.

Das kommt nun wieder. Nein, nicht die Staatspost, sondern die Organisation der Gesellschaft nach dem Prinzip der staatlichen Post. Wie komme ich darauf? Einige Beobachtungen:

Das 9 Euro Ticket löst den Zusammenhang zwischen Angebot und Nachfrage auf. Die 9 Euro erscheinen lediglich als Deckmantel einer preislosen Dienstleistung. Die Kosten entstehen weiter, bei steigender Nachfrage steigen sie. Finanziert wird jedoch nicht mehr durch die Nutzer, die die Leistung in Anspruch nehmen, sondern aus den Steuereinnahmen und durch Verschuldung, also künftige Steuereinnahmen. Es gibt kein monetäres Band mehr zu den Kunden. Das bleibt nicht folgenlos.

Die FAZ berichtete über Kritik am Verkehrsministerium, genauer „Wissings Klimaplan“. Dort wurde die Grünen-Chefin Ricarda Lang zitiert: „Jeder Sektor, jeder Bereich muss liefern.“ Auch der Expertenrat habe den Klimaplan kritisiert. Deutschland wolle klimaneutral werden. Deutschland, d.h. Wirtschaft und Gesellschaft, wird über das Thema Klima gesteuert wie eine Behörde. Jede Abteilung hat einen Beitrag zu liefern. Das Ziel hat die Behördenleitung vorgegeben. Alle wollen dieses Ziel erreichen, Abweichungen werden nicht geduldet. Engagement ist gefordert. Solidarität. Die utilitaristische Leistungsschau weist einzusparende Treibhausgas-Emissionen in Megatonnen aus. Die Werktätigen der Klima-Allianz aus 140 Organisationen werfen dem Minister „Arbeitsverweigerung“ vor.

Und so geht es überall weiter: Kampf gegen Armut und für soziale Gerechtigkeit. Agrarpolitik mit Mengen- und Preispolitik. Innovationspolitik. Automobilpolitik mit Verbrennerverbot und Bestimmen der Antriebsquelle. Energieversorgung. Energiewende. Energiepreise. Ausgleichszahlungen. Übergewinnsteuer. Evidenzlose Corona-Politik mit Maskenpflicht, in Deutschland, nicht in den Anrainerstaaten, mit Impfdruck und Impfquoten. Faktisches Grundeinkommen. Staatsrundfunk mit den üblichen Privilegien alimentierter Organisationen, die aus dem Wettbewerb genommen werden. Cookies als Pflicht und Meinungskontrolle als ausgelagerte Staatstätigkeit. Staatsfinanzierung durch die Inflationsbehörde EZB und Zinsfixierung. Länge der Lebensarbeitszeit: staatlich festgelegt. Sommer- und Winterzeit: festgelegt. Einfamilienhäuser: unerwünscht, tw. verboten. Gesundheitspolitik: Bürokratisierung, zu wenig staatlich organisierte Studienplätze, zu viel Teilzeitarbeit, Budgetierung und Preisdeterminierung, Wartezeiten, Rationierung. Und so weiter und so fort.

Angeordnet. Alternativlos. Ausführen. Klappe halten.

Die Folgen: Spannungen werden geschürt. Die Unzufriedenheit steigt. Die Leistungen werden schlechter. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Rationierung setzt ein. Warteschlangen werden gebildet. Im Gesundheitswesen ist das längst der Fall.

Mit den Worten des namhaften amerikanischen Ökonomen Armen Alchian: „Wir haben Bedürfnisse, Anforderungen, Nachfrage – abhängig vom Preis. Jeder, der diese Fakten des Lebens ignoriert spielt auf unverantwortliche Weise ein gefährliches und teures Spiel. Er vergrößert die gesellschaftlichen Probleme. Die Art wie er diese Fakten des Lebens verheimlicht ist das Gerede über Bedürftigkeit oder Anspruch als wäre das eine natürliche, einzigartige, gegebene Größe – unabhängig von den Kosten oder dem Preis, mehr zu bekommen.“

Mir geht es indes nicht um die ordnungspolitische Verwahrlosung oder die Interventionsspirale. Mir geht es auch nicht um das, was Menschen als absurd erscheint, auch wenn das Absurde ein Symptom des eigentlichen Problems ist. Wir leben in einem Umverteilungsstaat. Dem droht die Gesellschaft untergeordnet zu werden. Der ungarische Ökonom, Bankier und Philosoph Anthony de Jasay bezeichnete das, was wir heute nahezu überall politisch erleben, als Umrühren. Das ist die nächste Entwicklungsstufe des Staatswachstums und der Verstaatlichung der Gesellschaft. Während früher Peter etwas weggenommen wurde, um es Paul zu geben, wird längst Peter und Paul etwas weggenommen und jedem etwas gegeben, wobei es kompliziert ist herauszufinden, wie die jeweilige Brutto- und wie die Nettobilanz aussieht. Wilhelm Röpke schrieb vom „Eintopf als Dogma“ (FAZ, Oktober 1957), alles aus einem Topf, dem staatlichen Fleischtopf aus dem alle anteilig gespeist werden und der letztlich zur Unterwerfung des Menschen unter den Staat, zur Verstaatlichung des Menschen führt. Anthony de Jasay sah die Plantage als dystopisches Endstadium des Staates an, eine Sklavenwirtschaft staatlich voll alimentierter Menschen.

Es geht hier indes nicht um Dystopien, sondern um die beobachtbare Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Zeitenwende. Und es geht auch nicht um eine nutzenorientierte Argumentation. Es geht um die sichtbare fundamentale Änderung der Funktionsmechanismen von Wirtschaft und Gesellschaft. Eine freie, vielfältige Gesellschaft geht vom Bürger aus und ihren unterschiedlichen Bedürfnissen, Interessen, Wünschen, Zielen. Eine verstaatlichte Gesellschaft geht von der Bürokratie aus und von denen, die im Staat den Ton angeben. Der Staat entscheidet gesetzgeberisch und/oder bürokratisch über Ansprüche, teilt zu, nimmt weg, nach Maßgabe der Staatsangehörigen.

Die Gesellschaft ist keine Behörde, keine Post, auch kein Unternehmen, kein Gegenstand der Optimierung.

Eine schöne neue Welt? Ich hoffe mich zu irren.