Ein Führer durch die Krisenpolitik
Ein Führer durch die Krisenpolitik

Ein Führer durch die Krisenpolitik

Ein Führer durch die Krisenpolitik

Wirtschaftspolitik ist – überwiegend – Krisen verursachende Politik. Zu diesem Urteil kam bereits 1934 der österreichische Ökonom Fritz Machlup (1902-1983). Mit seiner allgemein verständlichen Darstellung der grundlegenden wirtschaftspolitischen Zusammenhänge „Führer durch die Krisenpolitik“ gelang es ihm, den Leser schwindelfrei zu machen, d.h. frei vom vorherrschenden wirtschaftspolitischen Schwindel. Machlup sollte internationale Bedeutung als ein Begründer der Wissens- bzw. Informationsökonomie erlangen und popularisierte das Konzept der Informationsgesellschaft.

Fritz Söllner, Ökonom und Leiter des Fachgebiets Finanzwissenschaft an der TU Ilmenau, bietet ein konzises Bild der deutschen und europäischen Krisen des 21. Jahrhunderts: Große Rezession infolge der Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise sowie Eurokrise, ferner Flüchtlinge, Klima, Corona und Geldentwertung. Sein Verdienst ist aufzuzeigen wie ineffektiv und ineffizient die Krisenpolitik war. Für die Masse der Bürger ist die dilatorische Krisenpolitik in allen fünf Feldern ein Desaster und bleibt doch für die Eliten folgenlos: Die „Ineffektivität und Ineffizienz der Krisenpolitik, die Asymmetrie der dadurch verursachten Belastungen, das Misstrauen gegenüber der Politik und anderen Institutionen“ seien Gründe für den Ansehensverlust von Regierung, Medien, Justiz und Wissenschaft, schreibt Fritz Söllner im Prolog und urteilt, dass „Deutschland aus den bisherigen Krisen nicht geeint und gestärkt hervorgegangen ist, sondern jedes Mal gespaltener und geschwächter.“ (S. 13) Während der Staatseinfluss immer stärker werde, schrumpften die Freiheitsrechte der Bürger durch Regulierung, Überwachung und Reglementierung.

Der zweite Teil des lesenswerten politik-ökonomischen Diskussionsbeitrags besteht aus Deutungen der Hintergründe und der weiteren Entwicklung. Um meine Bewertung vorwegzunehmen: Die ökonomischen Krisenanalysen sind exzellent, die politischen Deutungen finde ich in Teilen weniger überzeugend. Allein die Krisenlektüre lohnt sich für jeden Bürger, sie macht schwindelfrei und wirft einen sehr grundsätzlichen Blick auf (strukturell überforderte) Politik. Symbolpolitik, Problemverschleppung, Krisenverschärfung, Ignorieren der Ursachen und Folgen sind wesentliche Merkmale einer durchweg nicht zuletzt asozialen Politik, weil diese Geringverdiener besonders trifft, während zugleich von sozialer Gerechtigkeit und zunehmender Armut die Rede ist.

Exemplarische Ein- und Ausblicke

Das Kapitel über die Flüchtlingskrise ist eine nüchterne ökonomisch Sachstandsdarstellung. Fritz Söllner taxiert konservativ über 200.000 Euro Belastung des Steuerzahlers für jeden 2015 bis 2021 angekommenen Flüchtling als finanzielles Defizit für die gesamte Lebenszeit. Das sind insgesamt über 600 Milliarden Kosten bei überproportional hoher Zahl von Straftaten. Dem Leser stellt sich unweigerlich die Frage: Was bedeutet das für das alltägliche Leben? Ich denke an Gated Communities für Wohlhabende als eine Option und an Abwanderung im globalen Standortwettbewerb als eine weitere – zumal die Belastungen von Krise zu Krise zunehmen. Diskussionsstoff ist das, was anregende Bücher bieten.

Das gilt auch für das Kapitel zur Klimapolitik, die Fritz Söllner insbesondere hinsichtlich EEF, Kohleausstieg und subventionierter Elektromobilität wie folgt charakterisiert: „Es dominiert eine kleinteilige, sektorale und dirigistische Politik, die in großem Umfang volkswirtschaftliche Ressourcen verschwendet.“ (S. 83) Dabei sei der CO2-Saldo der Milliarden Euro teuren Maßnahmen „gleich null“. (S. 84) An vielen Stellen des Buches merkt man dem Politikökonomen die Sorge um die Zukunft Deutschlands an, hier am Beispiel der Klimapolitik: „Ob man 2050 noch zu Recht von einer freiheitlichen Ordnung und einer Marktwirtschaft in Deutschland und Europa sprechen können wird, erscheint aus heutiger Sicht höchst zweifelhaft.“ (S. 89) Offenkundig liegt dieser Einschätzung eine weitgehend lineare Fortschreibung der praktizierten Politik zugrunde. Herausheben möchte ich noch das gelungene Kapitel über die Corona-Politik, die „epidemiologisch nicht notwendig, ökonomisch unvernünftig und juristisch unverhältnismäßig war.“ (S. 120)

Mittel zur Macht

Nach einer primär ökonomischen Beschreibung und Bewertung der Krisen in ihren politischen Dimensionen gewinnt im zweiten Teil des Buches die politische Interpretation die Oberhand. Das gilt umso mehr für weitreichend politische Prognosen: „Vom Klimanotstand zur Ökodiktatur ist es nur ein kleiner Schritt.“ (S. 143) Ich lerne in diesem Teil weniger, sehe weniger solide abgestützte Einschätzungen und vermisse einige grundlegende politische und politikökonomische Erkenntnisse, vielleicht weil mir diese aus meiner Kolumne „Attack Titans“ noch präsent sind und das gleichnamige Buch im März erscheint. Public Choice Schule, Österreichische Schule, Bürokratietheorie und Institutionenökonomik bilden ein fruchtbares Ensemble, das Fritz Söllner z.B. mit Hayek, Buchanan und Niskanen nur streift und populär als Weg zur Knechtschaft deutet. Politikwissenschaftlich fruchtbare Bezüge zur Erforschung autoritärer Regime und dem Democratic Backsliding respektive der Autokratisierung würden wichtige tiefer reichende Erklärungen liefern.

EU als Krisengewinnler

Der Zentralisierung mit fortschreitendem Machtgewinn der EU und Souveränitätsverlust Deutschlands als Folge der Krisenpolitik wird der Leser zustimmen können. Den Machtverlust der nationalen Parlamente hat indes frühzeitig für eine breite Öffentlichkeit Ralf Dahrendorf in „Die Krisen der Demokratie“ thematisiert und weniger intentional argumentiert. Den geringen Stellenwert des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit in der Krisenpolitik illustriert Fritz Söllner mit eingängigen Zitaten. Letztlich unscharf bleibt, zumal weitgehend auf der Makroebene gedeutet, wer konkret aus welchen Gründen den europäischen Zentralstaat mit europäischen Verwaltungsregionen anstrebt bzw. welche systemischen Wirkungen diese seit 25 Jahren währende, offensichtliche Entwicklung befördern. Das gilt gerade, weil der Euro eine „Wirtschafts-, Schulden-, Sozial- und Finanzunion“ alternativlos macht (S.157) und der EUGH treffend als Transmissionsriemen der Zentralisierung dargestellt wird. Noch stärker ausgeführt und unterfüttert würde der kurze Abschnitt über Propaganda und ideologische Hegemonie (S. 173f.) mehr Erklärungskraft erlangen. Das ist beispielsweise für die USA politikökonomisch glänzend gelungen („Manufacturing Militarism“). Orwell 1984 mit innerem und äußerem Feind als Strukturierungsmuster zu verwenden hat Charme und stellt eine Gratwanderung dar. Die Beschreibung der gedanklichen Selbsteinhegung und Selbstselektion der Staatsdiener überzeugt genauso wie die vor 10, geschweige denn 20 Jahren noch unvorstellbare Verschiebung und Beschränkung des öffentlichen Diskurses. Ob es sich bei dem neuen Weg in die Knechtschaft um einen neuen Sozialismus handelt oder eher um einen neuen Faschismus, wäre ein Diskussion wert. Interessanter als die Schlagworte sind die Mechanismen und konkreten Verhaltensweisen, die unsere Führungskräfte an den Tag legen und schon jetzt unter der Leitfrage untersucht werden, wie es dazu kommen konnte. Für das Finanzministerium hat das im Übergang von der Weimarer Republik zum Dritten Reich kenntnisreich Stefanie Middendorf mit „Macht der Ausnahme“ aufgezeigt.

Lesen, denken, diskutieren

Meine wahrgenommene Zweiteilung des Buches wende ich auch auf den Schlussteil an. Die Rückkehr zur D-Mark als notwendigen Schritt zur Umkehr aus der permanenten Krisenpolitik teile ich, würde indes mit einer Entnationalisierung von Währungen und deren Wettbewerb noch einen Schritt weiter gehen (NZZ). Die knappen politischen Empfehlungen (Wählen, informieren, Bildung nicht dem Staat überlassen, seine Meinung vertreten) halte ich für teilweise hilfreich, indes nicht ausreichend. Politik ist eine Machtfrage. Eine Erneuerung des politischen Systems ist nicht absehbar. Zentralisierung ruft Gegenkräfte auf den Plan. Dezentralisierung, Sezession und politischer Wettbewerb von kleinen Einheiten und private politische Gebilde erscheinen zeitgemäß. Wie können diese Alternativen fruchtbare Realität werden? In einem neuen etatistischen Zeitalter ist bereits aufgrund des strukturellen Wissensmangels und der damit einhergehenden Anmaßungen des Krisen schürenden Staatapparates das eine Jahrhundertfrage. Die Lektüre von „Krise als Mittel zur Macht“ animiert zum Nachdenken über das Grundsätzliche.

 

Literatur: Fritz Söllner: Krise als Mittel zur Macht, Langen Müller Verlag, München 2022, 318 S., 24,00 Euro

Vortrag: Bibliothek des Konservatismus auf YouTube