Backfire. Kontraproduktive Sanktionen
Backfire. Kontraproduktive Sanktionen

Backfire. Kontraproduktive Sanktionen

Kontraproduktive Sanktionen

Manche Bücher und Autoren wecken das Interesse. Dazu gehört „Backfire“ von Agathe Demaris.

Das Buch ist in einem renommierten Verlag erschienen, Columbia University Press. Die Autorin kann einen vielversprechenden Lebenslauf vorweisen. Agathe Demarais ist Senior Fellow am European Council on Foreign Relations und befasst sich mit Geopolitik, globalen ökonomischen Fragen und Sanktionen. Zuvor war sie als “Global Forecasting Director” der Economist Intelligence Unit tätig, einem namhaften Forschungsbereich des Economist.

Backfire beruht auf ihren Erfahrungen als wirtschaftspolitische Beraterin des französischen Finanzministeriums in Russland und im Libanon. Agathe Demarais gilt als relevante Stimme der jüngeren außen- und sicherheitspolitischen Generation und ist Mitglied World Economic Forum’s Expert Network.

Warum bin ich nach der Lektüre enttäuscht? Das liegt offenkundig an meinen Erwartungen, die nicht erfüllt wurden. Vielleicht geht es anderen Lesern anders.

Worum geht es in Backfire?

Der Begleittext gibt einen guten Eindruck: Sanktionen seien für die Vereinigten Staaten zum wichtigsten außenpolitischen Instrument geworden. Wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen wie Handelszölle, finanzielle Sanktionen und Exportkontrollen würden eine große Anzahl von Unternehmen und Staaten auf der ganzen Welt treffen. Einige dieser Sanktionen richteten sich gegen nichtstaatliche Akteure wie kolumbianische Drogenkartelle und islamistische Terrorgruppen, andere würden für ganze Länder gelten wie Nordkorea, Iran und Russland. Die politischen Entscheidungsträger der USA würden in Sanktionen eine kostengünstige Taktik sehen, doch in Wirklichkeit verfehlten diese Maßnahmen oft ihr Ziel – und ihre starken Nebenwirkungen könnten sogar amerikanischen Interessen schaden.

Das Buch behandelt wesentlich die unbeabsichtigten Folgen von Sanktionen, die Bemühungen, sie zu umgehen sowie die Tatsache, dass Sanktionen die Geopolitik und die Weltwirtschaft verändern, den Einfluss der USA schwächen. Es handele sich um den Bericht eines Insiders.

Der Maßstab

Vielversprechend klingt die Ankündigung, weil das Buch zeitgemäß erschienen ist, angesichts massiver westlicher Sanktionen gegen Russland und einer langen westlichen Sanktionsgeschichte. Ich erwarte neue Einsichten. Die Latte liegt vergleichsweise hoch angesichts einiger Standardwerke. Dazu zähle ich:

  • Das Buch von Hufbauer et al.: Economic Sanctions reconsidered (2007) (FFG Link)
  • Den Aufsatz von Robert Pape: Why Economic Sanctions do not work (1998) (FFG Link als Gesamtbilanz von Sanktionen)
  • Die Arbeiten von Christopher Coyne, zuletzt mit: In Search of Monsters to Destroy. The Folly of American Empire and the Paths to Peace (2022) (FFG Link)
  • Bedingt auch Robert Blackwill: War by other Means. Geoeconomics and Statecraft. (FFG Link)

Eine Kurzfassung des Wissensstandes könnte lauten: Ökonomische Sanktionen scheitern weit überwiegend, schaden stets dem Land, das sie verhängt, gehen mit den üblichen kontraproduktiven Folgen von Sanktionen einher, darunter das Schüren von Konflikten, Lagerbildung gegnerischer Länder und Gruppen, während die Opposition geschwächt wird und die Bevölkerung leidet.

Wer sich das anhand eines konkreten Fallbeispiels näher anhören möchte, dem kann ich den außen- und sicherheitspolitischen Podcast aus dem Jahr 2019 zu Iran empfehlen – Cato, Power Problems, 10.12.2019: Maximum Pressure Meets Maximum Resistance: Trump vs. Iran mit Negar Mortazavi, Trevor Thrall und John Glaser. Wesentliche Aussagen bzw. Ergebnisse lauten:

  • Das Ziel der Sanktionen sei unklar: Lediglich wenn eine Schwächung der iranischen Wirtschaft um ihrer selbst willen beabsichtigt war, sei das Ziel erreicht worden.
  • Zur Verhaltensänderung des Regimes ggü. der Bevölkerung: Das Gegenteil sei erreicht worden, wie die Niederschlagung der Proteste 2019 zeige.
  • Zur Verhaltensänderung des Regimes in der Region: Das Gegenteil sei erreichtworden, wie eine Reihe von Sicherheitsvorfällen am Persischen Golf zeigen würden.
  • Zur Schwächung des Regimes: Das Gegenteil sei erreicht worden, korruptive Strukturen seien gestärkt, marktwirtschaftliche geschwächt worden.

Im Ergebnis wurde das Elend der Bevölkerung vergrößert. Das international ausgerichtete politisches Lager wurde geschwächt, das unterdrückerisches Lager des Regimes gestärkt, die politische Elite verloren, weil nun auch aufgeklärte, pro amerikanische Iraner gegen die USA eingestellt seien. Iran habe sich Osten und Russland zu- und vom Westen abgewendete. Wenn das das Ziel war, dann habe es sich um erfolgreiche Sanktionen der Trump Administration und ihrer Vorgänger gehandelt.

Backfire hat dem aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen. Es enthält viele Korelationen und wenig Analyse. Die Messung der Wirksamkeit von Sanktionen bleibt weitgehend offen. Als Verdienst kann angesehen werden, dass die kontraproduktiven Folgen von Sanktionen noch einmal thematisiert werden. Eine Umkehr von der Praxis sollte indes nicht erwartet werden, weder in der üblichen noch in einer als feministisch bezeichneten Außenpolitik.

Agathe Demarais: Backfire. How Sanctions Reshape the World Against U.S. Interests, Center on Global Energy Policy Series, Columbia University Press, New York 2022, 292 S., 21,74 Euro.

Nachtrag – zum Inhalt von Backfire

Das Buch beginnt mit einer Darstellung der historischen Entwicklung der US-Sanktionspolitik von der Ära des Kalten Krieges bis heute. Agathe Demarais hebt die Verbreitung von Sanktionen als bevorzugtes Instrument der US-amerikanischen Staatsführung hervor, die von dem Glauben an ihre Wirksamkeit als Mittel zur Beeinflussung von Gegnern und zur Förderung amerikanischer Interessen im Ausland getragen wird. Das, so ließe sich hinzufügen, ist in Europa nicht anders. Wesentliche Aussage der Think Tankerin ist, dass das Vertrauen in Sanktionen unbeabsichtigte Folgen hat, die zu diplomatischen Rückschlägen, wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen und strategischen Neuausrichtungen führen, die den Einfluss und die Ziele der USA untergraben.

Im Mittelpunkt von Demarais‘ Argumentation steht das Konzept des „Backfire“, wonach die Verhängung von Sanktionen Gegenmaßnahmen und unbeabsichtigte Ergebnisse auslöst, mit schädlichen Folgen für die Interessen der USA. In Fallstudien, darunter Russland, Iran und China, zeigt sie auf, wie sich die betroffenen Länder an die Sanktionen angepasst haben, indem sie ihre Wirtschaftspartnerschaften diversifiziert, alternative Zahlungssysteme entwickelt und ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber externem Druck verbessert haben. Auf diese Weise haben sie die Wirksamkeit der US-Sanktionen verringert und Amerikas Einfluss auf der globalen Bühne geschwächt.

Darüber hinaus untersucht Demarais die breiteren geopolitischen Auswirkungen der US-Sanktionen, einschließlich ihrer Auswirkungen auf internationale Bündnisse und multilaterale Institutionen. Sie argumentiert, dass die unilaterale Anwendung von Sanktionen die Beziehungen zu wichtigen Verbündeten belastet und das Vertrauen in die von den USA geführte globale Ordnung untergraben hat. Dies habe einige Länder dazu veranlasst, nach alternativen Mechanismen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Beilegung von Streitigkeiten zu suchen und damit die dominante Stellung der USA im internationalen System in Frage zu stellen.

Backfire untersucht auch die menschlichen Kosten von Sanktionen, insbesondere ihre Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung in den Zielländern. Demarais zeigt auf, wie Sanktionen humanitäre Krisen verschärfen, demokratische Bewegungen untergraben und autoritäre Regime festigen können, was Zweifel an ihrer moralischen und ethischen Rechtfertigung aufkommen lässt. Indem sie diese unbeabsichtigten Folgen beleuchtet, stellt sie Sanktionen als stumpfes Instrument der Außenpolitik dar und fordert die politischen Entscheidungsträger auf, die umfassenderen Auswirkungen auf globale Stabilität und menschliches Wohlergehen zu berücksichtigen.

Konstruktive Empfehlungen für Reformen der Sanktionspraxis dürfen nicht fehlen. Demarais plädiert für einen angepasste, strategischere Sanktionen, um das komplexe Zusammenspiel von wirtschaftlichen, politischen und sozialen Faktoren besser zu berücksichtigem. Dazu gehören: eine stärkere Koordinierung mit Verbündeten, ein Engagement in internationalen Institutionen und die Berücksichtigung alternativer politischer Instrumente wie Diplomatie und Entwicklungshilfe.