Für eine schlechtere Welt: Selbstschädigung durch antikapitalistische Ressentiments
Der Kapitalismus hat einen schlechten Ruf. Das Wort Kapitalismus ist in Deutschland ein diffuser Kampfbegriff, von der Masse abgelehnt, von einer Minderheit mit Leidenschaft verteidigt, z.B. von engagierten jungen Menschen nicht nur auf T-Shirts und Instagram-Posts. Ein Trend auf den Frank Schäffler bereits 2015 hinwies.
Nach dem Edelman Trust Barometer 2020 hielten 55 Prozent der befragten Deutschen den Kapitalismus für schädlicher als nützlicher. Das war Teil einer weltweiten Skepsis. Befragt wurden mehr als 34.000 Personen in 28 Ländern. Zudem stimmten 45 Prozent in einer Ipsos-Befragung mit der Aussage überein, „dass sozialistische Ideale gegenwärtig wertvoll für den gesellschaftlichen Fortschritt sind“. Bereits in einer 2019 durchgeführten Umfrage des Gallup-Institutes hielten 49 Prozent der jungen Amerikaner den Begriff Sozialismus für positiv, die allerdings zugleich freies Unternehmertum wertschätzten.
Wer in die Geschichte schaut, sieht den real existierenden Sozialismus als Menschen verachtende Herrschaft: das SED Regime in Ostdeutschland, das NS-Regime im Dritten Reich, die Sowjetunion, Kuba, Venezuela, die Menschen hinter dem sozialistischen Vorhang, dem antikapitalistischen Schutzwall. Mangelt es an Geschichtskenntnissen? Meine These: Das Unwissen ist ein weißer Fleck, vielleicht sogar ein roter, auf einem anderen Gebiet.
Erwachsene Menschen äußern in sozialen Medien im beruflichen Kontext antikapitalistische Standard-Ressentiments. Das ist nicht verwunderlich, aber bedauerlich. Zu den psychologisch-politischen Glaubenssätzen seit der Fehldeutung der Industriellen Revolution gehören
- die kritisierte Ungleichheit der Vermögensverteilung in Deutschland, insbesondere der wenigen Reichen, die so viel besitzen (differenzierte Fakten u.a. mit Beamten als Reiche),
- ferner der als ungerechtfertigt angesehene zigfache Wert eines Managers im Vergleich zu einem Angestellten (zustimmend im Sinne von Selbstbedienung, aber auch Lob der Ungleichheit)
- sowie die Armut vieler Millionen Menschen (die Fakten: Fortschritt für alle) und
- nicht zuletzt das Klischee der raffgierigen Unternehmer (besser wissen: Lob des Reichtums und Familienunternehmen).
Politische Meinungen unterscheiden sich vom Liberalismus, der mit Ludwig von Mises die einzige gesellschaftliche Lehre ist, die vollständig auf einem wissenschaftlichen Fundament ruht (Liberalismus, 3). Und das Fundament ist ein politikökonomisches.
Nun darf man einschränkend zugestehen, dass soziale Medien bisher Plattformen sind, die Konfrontationen schüren. Dazu gehört auch, dass in schriftlicher Form und geleitet von einem schnellen System 1 Denken (Kahneman) die Bedingungen ungünstig für einen Horizont erweiterten Austausch sind. Außerdem gibt es immer wieder übereinstimmende Ursachenforschung, z.B. die Abkehr von Neoliberalismus und Hinwendung zum Neofeudalismus (dazu demnächst mehr in der Wirtschaftswoche).
Fragen wir uns einmal sehr grundsätzlich: Warum soll man Gleichheit überhaupt Ungleichheit vorziehen? Gibt es dafür eine tragfähige Begründung? Wir Menschen sind ungleich, sogar eineiige Zwillinge sind nicht gleich. Man muss nicht so weit gehen wir der Sozialphilosoph Anthony de Jasay, der die Forderung nach Chancengleichheit als Papageiengeschwätz bewertete (Liberale Vernunft. Soziale Verirrung, 177f.).
Allerdings ist die sozial-intuitive Überblendung ökonomischer Sachverhalte aus der persönlichen Perspektive eines überschaubaren Lebens verbreitet. Das ökonomische Unwissen über einfachste Tatbestände war und ist ein wesentlicher Grund. In der staatlichen Schulbildung existiert Wirtschaft nicht einmal als Nebenfach. Die größte Studiekommt zu besorgniserregenden Ergebnissen, sowohl für die Schüler als auch für die Lehrerausbildung und die föderalen Bildungssysteme.
Wer weiß, dass der Markt weder ein Ort ist noch ein Gleichgewicht erreicht mit einem statischen Zustand, sondern ein Prozess und ein Entdeckungsverfahren ist?
Wer weiß, dass die Koordination der Wirtschaftsaktivitäten Privateigentum, Preise und Profite (sowie Verluste) benötigt, damit Informationen, Innovationen und Anreize (etwas zu tun und zu lassen) entstehen können? Der Kapitalismus hat diese Institutionen, der Sozialismus nicht.
Wer weiß, dass Unternehmen soziale Institutionen sind, in denen Menschen arbeitsteilig organisiert werden, dafür Arbeitsplätze geschaffen und Gewinne erwirtschaftet werden müssen mit Produkten, die das Leben der Menschen verbessern?
Bizarr! Wir leben in einer Welt, in der viele Menschen Kapitalismus, das aus dem Englischen stammende Wort für Marktwirtschaft, ablehnen. Die meisten Intellektuellen glauben, so Roland Baader (totgedacht, 16f.), der frühere Unternehmer und unabhängige Sozialgelehrte, „beinahe jede Unzulänglichkeit bei gesellschaftlichen Institutionen und Traditionen könnte durch ‚rationale Gestaltung‘ korrigiert – und jede als negativ oder als ‚ungerecht‘ empfundene Entwicklung könnte durch ‚vernünftige‘ zentrale Planung und Kontrolle verbessert werden.“ Genau das sei der Kern sozialistischen Denkens und zeichne Intellektuelle aus, ohne dass diese sich als Sozialisten, Markt- und Freiheitsfeinde begreifen würden.
Liberalismus ist zu aller erst ein politisches Programm, das auf Wohlfahrt und Wohlstand für alle abzielt und dazu gibt es immer noch keine funktionierende Alternative. Mehr ist weder ökonomisch noch politisch möglich, allen politischen Illusionshändlern zum Trotz.
P.S. Wer an ökonomischen Bildungsklassikern interessiert ist, der ist hier in guten Händen:
Herbert Hax: Unternehmen und Unternehmer in der Marktwirtschaft, Göttingen 2005.
Dieser zeitlose, sachliche Überblick informiert über die Rolle, Bedeutung und Funktionsweise von Unternehmen und Unternehmern in der Marktwirtschaft. Alle wesentlichen Aspekte von der Produktion über die Finanzierung bis zum Absatz finden Beachtung und werden in einer vorzüglichen Verbindung von betriebswirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher Perspektive miteinander verknüpft. Auch zum Nachschlagen eignet sich der kleine Band.
Johann Norberg: In Defence of Global Capitalism, Stockholm 2001, deutsche Übersetzung: Das Kapitalistische Manifest 2003.
Die Globalisierung ist keine Bedrohung, sondern eine Chance. Einer der jüngsten Fürsprecher für Globalisierung Kapitalismus kommt aus Schweden und räumt mit vielen (sozialistischen) Vorurteilen auf. Das Fazit seines frischen, empirisch gesättigten Manifests: Liberalisieren, nicht Standardisieren. Die Folgerung lautet: Wir brauchen eine Regierung, die unsere Freiheitsrechte schützt und die Mächtigen daran hindert, einzelne zu unterdrücken.
Henry Hazlitt: Economics in one lesson. The shortest and surest way to understand basic economics, Three Rivers Press, New York 1979 (Erstauflage 1946, verschiedene deutsche Übersetzungen.
Die Kunst der Wirtschaftspolitik, insbesondere guter Wirtschaftspolitik, besteht darin, nicht nur die aktuellen, sondern vielmehr die langfristigen Wirkungen der Politik zu betrachten; zugleich gilt es die Folgen der Politik nicht nur für eine Gruppe, sondern für alle Gruppen zu verfolgen. Dies ist der Dreh- und Angelpunkt von „Economics in one lesson“, das aus der Feder des glänzenden Publizisten Henry Hazlitt stammt. In 25 kurzen Kapiteln wird die Lektion vermittelt, von Steuern über den Fetisch Vollbeschäftigung bis zu Preisen, Mindestlöhnen und Inflation. Friedrich August von Hayek bezeichnete das Buch als „brilliant“; er kenne kein Buch, von dem man so viel über die Grundsätze der Ökonomie in so kurzer Zeit lernen könne.
Wilhelm Röpke: Die Lehre von der Wirtschaft, 13. Aufl. Bern u. a. 1994.
Der zeitlose Klassiker (Erstauflage 1937!) vermittelt ohne mathematische und graphische Darstellungen ein Grundverständnis für die Funktionsweise der Wirtschaft. Allgemein verständlich geschrieben und damit für Einsteiger besonders geeignet, gerät durch den ganzheitlichen Blick nie die Komplexität der Zusammenhänge aus dem Blick. Nach der Lektüre dieser Einführung begreift man die Verflechtung von Wirtschaft und Gesellschaft und, dass Wirtschaftspolitik der Schaffung einer menschenwürdigen Ordnung dienen muss.
Zugabe
Roland Baader: totgedacht. Warum Intellektuelle unsere Welt zerstören, 1.Aufl. 2002 Gräfelfing 2002.
Unsere geistigen Eliten sind immer wieder von kollektivistischen Ideologien fasziniert, die Gesellschaft, Wohlstand, Freiheit und Moral zerstören. Wir werden von Kindesbeinen an mit diesen Irrlehren aufgezogen. Warum hängen viele (deutsche) Intellektuelle in Politik, Kultur und Wirtschaft, besonders in den Medien, den falschen Ideen an? Unkenntnis und Anmaßung von Wissen, Überhöhung kollektiver Größen und Angst vor der freien individuellen Entwicklung, Macht und persönliches Besserstellen statt Markt gehören zu den Ursachen. Wie gehen sie methodisch vor? Umwertung von Begriffen wie Eigentum und Wettbewerb, Kampagnen wie „Kampf gegen rechts“ und Political correctness sind Waffen, deren zerstörerische Kraft der populäre und sprachgewaltige Privatgelehrte Roland Baader aufdeckt. Nach der Lektüre werden Sie unsere Welt mit anderen Augen betrachten und in Erinnerung behalten, dass die Beste aller Welten nicht durch Vernunft entsteht, sondern als spontane Ordnung eines „Trial and error“-Prozesses.